: Abtrünnige zu Spießrutenlauf verdammt
■ Seit 20 Monaten kämpft der Ex-Vulkanese Fritz Russell um seinen Job auf der Schichau-Seebeck-Werft / Weil er kein Mypegasus-Leiharbeiter werden wollte, fing er sich viel Ärger ein
„Wer gegen den Strom schwimmt, muß mit Ärger rechnen“, sagt Doris Russell heute. Was das im Alltag bedeutet, haben die Bremerhavenerin und ihr Mann erlebt. Ehemalige ArbeitskollegInnen „schnitten“den gelernten Schriftenmaler auf der Straße, als sich herumgesprochen hatte, daß Fritz Russell nach der Vulkan-Pleite nicht freiwillig auf alle Arbeitnehmer-Rechte verzichtet hatte. Er gehört zu den 20 Bremerhavener Mypegasus-Abtrünnigen, die – jeder für sich alleine – entschieden hatten, nicht in die Auffanggesellschaft „Mypegasus“zu wechseln, um dann als Leiharbeiter für ein Jahr wieder am früheren Arbeitsplatz anzuheuern. Unter den rund 2.600 Bremerhavener Vulkan-Beschäftigten bildeten sie eine solch verschwindende Minderheit, daß Betriebsräte sie anfangs sogar verschwiegen.
„Alles aufgeben, um mit meinen 53 Jahren woanders nie wieder Arbeit zu bekommen?“Sowas konnte der gelernte Schriftenmaler Fritz Russell nicht unterschreiben. Das von der IG-Metall ausgearbeitete „Strohhalm-Konzept“zur Rettung möglichst vieler Arbeitsplätze bei den West-Töchtern des pleitegegangenen Vulkan-Konzerns hätte ihm nicht zuletzt den Verlust der Betriebsrente gebracht – nach zehn Jahren Schilder schreiben und Passagier- und Fährschiffen bei Schichau-Seebeck den Namen aufmalen. Weil in Bonn zugleich die 58er-Altersgrenze zur Frühberentung kippte, wußte Russell, daß er als Langzeitarbeitsloser in spe künftig auf keinen Pfennig würde verzichten können.
„Dabei war das Mypegasus-Modell für manche Kollegen gut“, räumt er ein. Einigen Älteren riet er sogar zur Vertragsauflösung bei der Werft, „wenn sie nach einem Jahr Mypegasus-Kurzarbeit die Rente sicher hatten.“Außerdem: auch wer jung war, kriegte dadurch schließlich zwölf Monate Spielraum, um sich was Neues aufzubauen – nur für Russells Altersgruppe galt das nicht. Was Gewerkschafter und Politiker als einziges Rezept gegen „die Rolladenlösung“für die Bremerhavener und Bremer Vulkan-Werften priesen, nannte er deshalb „Schmu“. „Wir sollten für die Chancen der anderen bezahlen und selber keine kriegen.“
Dabei hätte Fritz Russell mit sich reden lassen. Vorausgesetzt, eine Sozialklausel hätte denen, die wie er besonders schlecht dastanden, im Falle des Überlebens der Werft vielleicht die Rückkehr an den alten Arbeitsplatz ermöglicht. „Das war aber nicht. Statt dessen haben die Betriebsräte auf der letzten Betriebsversammlung Ende April richtig Druck für Mypegasus gemacht“, erinnert Russell.
Regulären Lohn gab es da schon seit drei Monaten nicht mehr. Zu Hause hatten er und seine Frau bereits über den Kontoauszügen gebrütet. Fast hätten sie damals sogar die Rechtschutzversicherung gekündigt, lacht er heute über den Spareifer: Diese Versicherung hat ihm bislang die Klage gegen die Entlassung beim ehemaligen Arbeitgeber, die Schichau-Seebeck-Werft, bezahlt. Aus der Gewerkschaft war der ehemalige IG-Metall-Vertrauensmann schon vor Jahren ausgetreten. „Da ging es mir zuviel um die Pöstchen“, sagt Russell. So blieb ihm die bittere Erfahrung anderer Mypegasus-Abtrünniger erspart: Mehreren Gewerkschaftsmitgliedern verweigerte die IG-Metall den Rechtsschutz für die Kündigungsschutzklage – mit der Begründung, man werde keinen Prozeß gegen das schließlich von der Gewerkschaft mitentworfene Mypegasus-Modell führen.
Russell erstaunte das nicht. Schon als er bei der letzten Betriebsversamm-lung zu hören bekam: „Wer nicht unterschreibt, kann gleich die Sachen packen“, schrillten bei ihm alle Alarmglocken. „Die meisten hatten doch noch gar nicht begriffen, worauf das hinausläuft“, sagt er. „Diesen schwäbischen IG-Metall-Rechtsanwalt Jörg Stein, der sich Mypegasus quasi ausgedacht hat, konnte mit seinem Dialekt ja kaum einer verstehen.“Heute glaubt Russell: „Das war wohl gewollt.“
Selbst Doris Russell gerät in Wut, wenn sie daran denkt, wie die Gewerkschaft die Auflösung der Arbeitsverträge „durchgezogen“hat. „Diese IG-Metaller haben unseren Männern die Verträge noch nicht mal mitgegeben, damit die Familien zu Hause beraten können, was das für die Zukunft bedeutet. Als wenn wir Frauen da nicht mitzureden hätten.“Dabei hatte Doris Russell ihren Hexenschuß-geplagten Ehemann am Tag der Vertragsauflösung noch selbst auf die Werft kutschiert. „Aber der durfte das dreiseitige Papier ja nicht mal beiseite nehmen, um es in Ruhe durchzulesen“, sagt die blonde Frau energisch. Er nickt dazu: „Sowas stinkt ja.“
Für das Nicht-Unterschreiben bekam Fritz Russell noch an Ort und Stelle die „Freistellung. Ich mußte meine Sachen abgeben und durfte nie wiederkommen. So war's“. Später, beim – ersten verlorenen – Arbeitsgerichtstermin, attestierte die Gewerkschaft dem Maler über den Anwalt der Schichau-Firmenleitung schriftlich unsolidarisches Verhalten. „Das haute rein“, sagt Russell. Seine Frau sagt: „Als wenn Hennemann* und Wagner* von ihren vielen Millionen wenigstens eine solidarisch mit den Arbeitslosen geteilt hätten.“Und: „Mein Mann sollte über Nacht aufs Abstellgleis kommen. Sowas darf man mit Menschen nicht machen. Deswegen habe ich immer hinter ihm gestanden.“
Jetzt steht sie mit ihm auf der Gewinnerseite. Vorläufig. Am 2. Dezember urteilte das Bremer Landesarbeitsgericht auf Antrag der Bremerhavener Arbeitsrechtler Walter und Piet Klemeyer, daß Russell auf seinen Arbeitsplatz zurückkehren darf. Der Konkursverwalter hätte ihn und die 19 übrigen Mypegasus-Verweigerer nicht kündigen dürfen, so der Tenor des Urteils. Russell und seine Frau waren inzwischen bereits auf der Schichau-Seebeck-Werft, „die Arbeitskraft anbieten“. Nach dem Gespräch mit dem Personalchef dort hat Russell erkannt: „Der war auch zum Buhmann gemacht worden.“Nachdem nämlich im letzten April fast alle Schichauarbeiter den Mypegasus-Wechsel unterschrieben hatten, mußte der Personalchef herumtelefonieren, um denjenigen Bescheid zu geben, die zurück auf die Werft kommen sollten. „Nach Nasentarif. Der hat sich ganz schön was angehört, von denen, die nicht zurück durften.“
Vorerst darf allerdings auch Fritz Russell nicht zurück auf die Werft. Die Firmenleitung will die schriftliche Begründung des Urteils erst abwarten; dann soll sie zur Revision vors Bundesarbeitsgericht. „Davor habe ich Angst“, sagt Doris Russell. Unwillkürlich schießen ihr Tränen in die Augen, und der Mund zittert. Die letzten 20 Monate haben Spuren hinterlassen. Auch ihr Mann, der sich seine Arbeitslosenzeit mit Malerei und Kunsthandwerk vertreibt, ist manche Nacht schlaflos durchs Wohnzimmer getigert, hat eine Zigarette nach der anderen durchgezogen. „Es ist für alle hart“, sagt er. Viele ehemalige KollegInnen sitzen nach dem Ablauf von Mypegasus jetzt auch auf der Straße – und anders als er haben sie keine Hoffnung auf Lohnnachzahlung, Betriebsrente oder Arbeitsplatz. Seine Frau sagt: „Aber für uns war es Spießrutenlaufen. Trotzdem haben wir das wenigstens zusammen durchgestanden. Sonst wäre es schrecklich geworden.“
Eva Rhode
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