: Abtreibung und Tötungsvorwurf
■ Auch Grüne begegnen dem Tötungsvorwurf bei Abtreibung nicht offensiv / Die instrumentelle Zerstörung des Gebär–Mutter–Inhalts ist die symbolische Tötung der Mutter / Aber weder individuell noch gesellschaftlich ist Aggression gegen die lebensspendende Mutter erlaubt / Bei Auseinandersetzungen mit Abtreibung stellt sich die Frage, ob man selbst als Kind erwünscht war
Von Gerhard Amendt
Auch die Politik der Grünen zeigt wenig Neigung, die Abtreibung mit Tötungsphantasien in Verbindung zu bringen und den Tötungsvorwurf des Bundesverfassungsgerichts von 1975 offensiv in Frage zu stellen. Was immer Frauen und Männer an Phantasien, Angst, Erleichterung oder Bedrückung mit einer Abtreibung verbinden, so ist ihr Handeln bereits durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) von 1975 definiert: „Der Abbruch einer Schwangerschaft zerstört unwiderruflich entstan denes menschliches Leben. Der Schwangerschaftsabbruch ist eine Tötungshandlung.“ Allerdings gibt es die gerechtfertigte Tötung nach § 218 StGB: Danach ist Abtreibung bürokratisch organisierte Tötung unter Staatsaufsicht. Der Tötungsvorwurf schwebt deshalb über allen, gleichgültig für welche Beratungsvariante PolitikerInnen sich entscheiden. Mit den Beratungskonstruktionen wird das eigene und das gesellschaftliche Gewissen beschwichtigt, um dem Tötungsverdikt des Bundesverfassungsgerichts (BVG) und eigenen Tötungsphantasien auszuweichen. Nach dem Bundesverfassungsgericht ist es unerheblich, ob jemand für die Streichung des § 218 ist, für die Indikationslösung oder die Fristenlösung, für die Zwangsberatung nach § 218b, die Zwangsindoktrination der Koalition, oder für die Freiwilligkeit der Grünen. Abtreibung bleibt Tötung eines Menschen. Formal ist das Urteil von 1975 durch die höchstrichterliche Autorität legitimiert. Aber ihm fehlt ein kultureller und geschichtlicher Konsens. Das richterliche Tötungsverdikt darf nicht länger verschwiegen noch verdrängt werden. An die Stelle einer lebensfremden gerichtlichen Definition muß eine kulturell diskutierte Verständigung treten, die der Mannigfaltigkeit von privaten, kulturellen und religiösen Vorstellungen Rechnung trägt. Bei der Abtreibung geht es trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht um Moral und Ethik, sondern - abgesehen von Bevölkerungspolitik - um individuelle psychische Verarbeitung der eigenen Lebensgeschichte: Je unnachsichtiger von einer gottgewollten Moral, ewigen Menschenbildern oder zwingenden Lehren aus dem deutschen Faschismus die Rede ist, umso größer ist in aller Regel die Angst vor der Frau, die mit kategorischen Diskreditierungen abgewehrt wird. Betonartige Panzerung Beratung heißt die geheime Formel, mit der die Angst vor den Frauen und ihrer Fähigkeit zu ge bären - vor allem aber - es zu lassen, kontrolliert werden soll. Aus dem angepaßten staatlichen Schutz für die Lebensentstehung gegen die bedrohlich phantasierte Entscheidungsfreiheit der Frau kommt es zur Schutzlosigkeit von Frauen. Die Lebensdefinition des BVG ist eine betonartige Panzerung gegen konflikthafte Auseinandersetzungen. In der Sprache der Psychoanalyse formuliert: Die Panzerung ist Ausdruck kollektiver Abwehr der Bewußtwerdung individueller Lebensgeschichte mit der eigenen Mutter und der Unfähigkeit, deren böse Seiten zuzulassen. So muß es auch einem Bedürfnis des linken Spektrums entsprechen, über die Vergangenheit jenseits deklamatorischer Weisheiten nicht zu reden, denn sie haben bis heute das Urteil von 1975 sprachlos hingenommen. Um den totgeschwiegenen Tötungsvorwurf zu diskutieren, schlage ich folgende These vor: Abtreibung als Tötung zu empfinden entsteht aus einer projektiven Phantasie von Leben und ist deshalb eine auflösbare Symbolik eigener Lebensgeschichte! Das wirft zum Beispiel die Frage auf: Aus welchen Motiven sind wir entstanden? Sind die älteren unter uns Töchter und Söhne einer kriegsbegeisterten Frau, die für den „Führer des Deutschen Reiches“ und seine Welteroberungspläne ihre Gebärfähigkeit zur Verfügung gestellt hat? Waren wir als Krieger für die Front oder als Kriegerin für die Gebärfront von einer bereits tätigen Kriegerin an der gebärenden Heimatfront gewünscht? Hätte es einen solchen faschistischen Verwendungszweck nicht gegeben, so würden viele aus der heutigen Elterngeneration vielleicht gar nicht existieren. Die Jüngeren sind mit anderen Konstellationen belastet: So zum Beispiel das Mädchen, das ein Junge hätte werden sollen; ein Kind, das während eines Fronturlaubs im Zweiten Weltkrieg gezeugt und als unerwünschtes Kind behandelt wurde. Glaubwürdig ist eine Zurückweisung des Beratungsgesetzes nur, wenn sie mit der Reflexion des Tötungsvorwurfs einhergeht. Die Phantasie, mit der Abtreibung etwas getötet, zerstört oder unmöglich gemacht zu haben, ist ein Konglomerat von Trauer, Depression und Selbstbehauptungsversuchen. Wie ist die Tötungssymbolik auflösbar? Nicht ein Mensch wird getötet, sondern die Potenz, menschliches Leben entstehen zu lassen. Das Verhältnis von Frau und Mutterschaft stellt bis zur Geburt eines Kindes eine untrennbare Einheit dar - von weit größerer Zerbrechlichkeit als die symbiotische Phase nach der Geburt. Alle Theorien von der Schwangerschaft als eine Zwei–Personen– Beziehung halte ich für unmenschlich. So gibt es weder den Nasciturus des BVG noch die Kaulquappenanalogie für die ersten zwölf Wochen noch den „Löffel mit Gewebebrei“. Es gibt die Frau, die sich für oder gegen die Lebensentstehung entscheidet - sonst nichts. Alles andere hat Abwehrcharakter gegenüber der weiblichen Gebärpotenz und der Macht der Frauen, die Gattung zu reproduzieren oder aussterben zu lassen. Nicht Person und nicht Kaulquappe Den Abwehrcharakter der Zweipersonentheorie möchte ich an folgendem Beispiel verdeutlichen. Sabine Wendt (Kritische Justiz, Heft2, 1983) schreibt, daß die „drastischen Darstellungen aus dem Gruselkabinett der katholischen Kirche“ herhalten müssen, um den Abtreibungsvorgang als Tötung erscheinen zu lassen. „Das weckt natürlich Assoziationen an den Kindermord von Bethlehem und läßt die naturwissenschaftlichen Fakten außer acht, daß ein Fötus in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten seinem Äußeren nach eher einer gut entwickelten Kaulquappe denn einem niedlichen Baby ähnelt.“ Was Leben ist, soll demnach auch bei einer Befürworterin der Abtreibung durch die Naturwissenschaften entschieden werden. Wie eine Frau die Schwangerschaft jedoch erlebt, hängt allein davon ab, welche Einigung sie mit sich selbst und ihrem Partner über die Gebärpotenz trifft. Der physiologische Veränderungsprozeß in ihr wird zur Lebensentstehung durch die gefühlsmäßige Besetzung und Entscheidung für die Veränderung. Es ist wenig einfühlsam, wenn eine Frau über die auch leidvoll erfahrene Abtreibung mit dem Hinweis auf den „nur zellulären Charaker der Schwangerschaft“ hinweggetröstet werden soll. Es ist etwas zutiefst Widersprüchliches in der abtreibungsbejahenden Politik, wenn Frauen um des Fortschritts willen keine Gefühle der Trauer, Wut, Verzweiflung, Depression oder Melancholie entwickeln dürfen; nur damit die Pathologieverdächtigungen und der Naturwidrigkeitsmythos der Konservativen keine Nahrung erhalten. Diese Haltung in der Frauenbewegung entspricht der männlichen Gleichgültigkeit, die die Affekte der Kränkung und Enttäuschung durch die Abtreibung abzuwehren versucht. Warum aber muß die Abtrei bung von ihren affektiven Begleiterscheinungen buchstäblich bereinigt und damit zu einer subjektivitätslosen Handlung bagatellisiert werden? Vielleicht ist es die Bedeutung, die Abtreibung in unserem eigenen Leben für uns persönlich hatte, obwohl wir nicht abgetrieben wurden. Wer für das Recht auf Abtreibung plädiert, liquidiert möglicherweise nachträglich seine Existenz; denn er verdankt sie der Unfähigkleit der Eltern, damals die unerwünschte Schwangerschaft abzutreiben. Die Abtreibung rechtlich zuzulassen ist deshalb für viele Männer und Frauen eine große psychische Belastung. Denn wenn sie entdecken, daß sie wirklich unerwünscht waren und ihre Existenz dem Abtreibungsverbot verdanken, so ist das eine schwere nachträgliche Entwertung ihrer Eltern und der gefühlsmäßig so wichtigen frühen Kinderjahre. Einer progressiven politischen Haltung steht bei vielen Abtreibungsgegnern eine bedrückende Ungewißheit über die Erwünschtheit der eigenen Existenz im Wege. Das Bild von der guten Mutter Es ist schwierig, auf diese Erfahrungen zurückzugreifen, weil damit unser gutes Mutterbild in Frage gestellt und ihre Entidealisierung verbunden wäre. Wenn wir uns im unklaren sind, ob wir gewünschte Kinder oder nur ausgetragene Schwangerschaften sind, dann stoßen wir auf Weichenstellungen in der elterlichen - vor allen Dingen aber der mütterlichen - Lebensplanung. Wir werden mit der eigenen Mutter konfrontiert. War sie Opfer äußerer Lebensumstände oder Täterin an ihren Kindern? Die Frauenministerin bietet den Frauen den Opferstatus an, um dem Beratungsgesetz hilfreiche Seiten abzugewinnen. Sie bettet die Frauen in ein Szenario sie umgebender alltäglicher Gewalttätigkeit. Zwischen der Pornodebatte mit dem Ruf nach zivilrechtlicher Wiedergutmachung für die geschädigte Frau und dem Beratungsgesetz zum Schutz der vernachlässigten Frauen, die angeblich zu 40 Prozent zur Abtreibung von ihren Partnern gezwungen werden, gibt es einen Zusammenhang. Es ist die Annahme, daß Frauen sich nicht wehren, nicht verhüten noch in kämpferischen Auseinandersetzungen von ihren Männern die Anerkennung ihrer Wünsche erreichen können, sondern der Hilfe von Vater–Staat bedürfen. Diese mütterlich–fürsorgliche Tendenz wird heute vom Frauenministerium zur Rechtfertigung des Beratungsgesetzes herange zogen. Aber wenn die Töchter sich von der Mutter versorgen lassen, dann können sie ihre Selbständigkeit nicht erreichen und werden endlos in ihrer ungelösten Mutterbindung an erfolgreiche Nachfolgemütter - wie etwa die fürsorgliche Frauenministerin - verharren. Für viele Frauen und auch Männer ist die Frauenministerin sicher eine bewundernswerte Frau und Mutter. Sie stellt in vieler Hinsicht dar, was die eigene Mutter nicht war: selbstbewußt, aggressiv– zielstrebig, verbindlich und konfliktfreudig etc. Anders formuliert: Die CDU fusioniert die Schutzbedürftigkeit der geborenen Frau mit der Schutzbedürftigkeit des ungeborenen Kindes. Die Übermutter schützt ihre Kinder und ungeborenen Enkel vor den feindlichen Vätern und Ehemännern. In dem von der CDU geplanten Beratungsgesetz wird der reale wie phantasierte Opferstatus der Frauen zur Tugend erklärt: Es ist keine Schande für Frauen, aggressionsunfähig, abhängig und Opfer von Männern zu sein! Die Zuweisung des Opferstatus ist eine Form von Frauenpolitik, die Frauen die Aggressivität, Entschlossenheit und partnerschaftliche Durchsetzungskraft absprechen soll, die zu einer Entscheidung für oder gegen die Schwangerschaft dazugehört. Frauen können und müssen in einem progressiven Sinne Täterinnen sein. Andernfalls können auch die Männer die eigene zwanghafte Versorgermentalität nicht überwinden, wenn sie sich dazu einmal entscheiden sollten. Welche verschwiegene psychische Bedeutung hat Beratung für den zugewiesenen Opferstatus der Frauen? Es soll die Fähigkeit von Frauen unterdrückt werden, aggressiv und penetrierend ihre Wünsche und Abneigungen durchzusetzen. Sowohl Alice Schwarzer wie Rita Süssmuth - bei aller Unterschiedlichkeit - verharren beim weiblichen Opferstatus. Sie erklären den Mann zum Objekt berechtigter Wut, um die Enttäuschung und Wut auf die Mutter verschweigen zu können. Jener Frau also, deren Lebenswandel der Tochter als inneres Vorbild diente. Der Schritt zur Selbständigkeit Die instrumentelle Zerstörung des Gebär–Mutter–Inhalts ist die symbolische Zerstörung der Mutter als Leben schenkendes Vorbild. Vielleicht ist es in der unbewußten Phantasie sogar ein symbolischer Muttermord. Da weder individuell noch gesellschaftlich Aggressionen gegen die Mutter, geschweige denn ihre symbolische Tötung, zugelassen werden können, werden Frauen auf einem beraterisch dekorierten Opferbett aufgebahrt, damit sie zumindest nicht sehenden Auges - also bewußt - gegen die eigene Mutter aufbegehren und sich bewußt gegen Mutterschaft entscheiden. Dennoch wird abgetrieben. Aber Frauen tun es dann nicht gegen das idealisierte Mutterbild von Frauen und Männern, sondern mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen, was gleichbedeutend ist mit dem Verzicht, eigene Interessen aggressiv und selbstbewußt durchzusetzen. Die bewußte Handlung des symbolischen Muttermordes sollen die Frauen als Schritt zur Selbständigkeit, zur eigenen Sexualität und Lebensplanung - zur Emanzipation - nicht gehen. Werden abtreibende Frauen in den beratungs– und beistandsbedürftigen Opferstatus phantasiert, so wenden sich die hilfreichen Absichten gegen die Frauen. Sie dienen den Hilfreichen dazu, ihr eigenes Bild von der idealen Mutter vor Angriffen zu bewahren. Was als psychische und physische Selbstgefährdung der Frauen durch Abtreibung ausgegeben wird, ist in Wirklichkeit etwas, was ihnen für die kulturzerstörerische Handlung des symbolischen Muttermordes von ihren FürsorgerInnen gewünscht wird: Krankheit und Irrsinn - eine alte Strafe für schwerwiegende Kulturverletzungen! Es geht vor allem den Abtreibungsgegnern um die Wahrung der eigenen guten Mutterimagines und keineswegs um Lebensschutz, den sie in anderen Zusammenhängen leichtfertig vernachlässigen. Denn das internalisierte mütterliche Abtreibungsverbot ist viel bedrohlicher als die manifeste verbietende väterliche Autorität in der Form des Strafgesetzes.. Vom Autoren ist dieser Tage erschienen: Gerhard Amendt: Die bestrafte Abtreibung. Argumente zum Tötungsvorwurf. Ikarus–Verlag Bremen, DM19,80.
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