Abtreibung in Polen: Proteste mit Abstand
Die nationalpopulistische Regierung will erneut die Gesetze verschärfen – bis hin zu einem totalen Verbot. Trotz Corona gehen Frauen auf die Straße.
Vor zwei Jahren hatten sie vor dem Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, Blechkleiderbügel gegeneinander geschlagen und vor einer brutalen „Selbsthilfe“ gewarnt, sollten Schwangere zum Austragen und Gebären schwerstbehinderter Kinder gezwungen werden.
Jetzt aber, da Polens Regierung den Covid-19-Epidemie-Zustand ausgerufen hat, sind Demonstrationen streng verboten. Die Chance für Polens Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind groß, nun endlich diese Gesetzesverschärfung durchzusetzen.
Schon jetzt ist ein Schwangerschaftsabbruch nur in drei Fällen legal: wenn Gefahr für Leben und Gesundheit der werdenden Mutter droht, bei einer schweren Missbildung des Fötus oder nach einer Vergewaltigung. Schon früher hatten stramm rechte Politiker unter Beifall von katholischen Priestern gefordert, ein bei einer Vergewaltigung gezeugtes Kind als ein „Geschenk Gottes“ zu sehen. Selbst 12-jährige Mädchen hätten so ein „Geschenk“ in Demut vor Gott anzunehmen.
Ohne Schädeldecke
Initiatorin der erneuten Gesetzesinitiative ist Kaja Godek und der Verein Stiftung Leben und Familie. Godek, die selbst Mutter eines leicht behinderten Kindes ist, behauptet, dass die Verschärfung des Abtreibungsrechts „vor allem eine Chance ist, die Diskriminierung von Behinderten zu beenden. Nach dem geltenden Gesetz haben sie kein Recht auf Leben.“
Dass Polinnen bislang das Recht haben, sich für oder gegen die Geburt eines Kindes nach einer Vergewaltigung oder bei einer Schwerstbehinderung zu entscheiden, berücksichtigt Godek nicht. Manche Frauen entscheiden sich sogar dafür, Kinder ohne Gehirn und Schädeldecke zur Welt zu bringen und sie dann in ihren ersten und letzten Stunden im Arm zu halten.
Laut einer Statistik des Gesundheitsministeriums nahmen polnische Kliniken 2018 gerade mal 1.100 Abtreibungen vor. In rund 1.050 Fällen lautete die Diagnose „Fehlbildung des Fötus“, darunter knapp 200 Ungeborene mit dem Downsyndrom.
Trotz des Verbots von Demonstrationen und Menschenansammlungen protestierten einige hundert Polinnen am Montag nicht nur im Internet, sondern auch auf der Straße. In Warschau rückten sie mit Autos an und blockierten hupend einen Verkehrskreisel im Zentrum der Stadt.
Schwarze Schirme
An anderen Orten hielten schwarzgekleidete Polinnen schwarze Schirme und Protestplakate hoch – wie 2016 und 2018 –, während sie sich mit gebotenem Abstand vor Lebensmittelläden anstellten.
Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, schrieb auf Twitter, dass Polens Abgeordnete die Abtreibung nicht kriminalisieren sollten, sondern einen Abbruch auch auf Wunsch der Frauen in einer frühen Phase der Schwangerschaft legalisieren sollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“