: Absurd polemisch
Für Ayaan Hirsi Ali sind Islam und Islamismus identisch. Sie schürt damit Ängste, die Hollands Bürgergesellschaft verunsichern
Platz 2 auf der Spiegel-Bestsellerliste: Ayaan Hirsi Ali scheint auch in Deutschland zu faszinieren. In den Niederlanden wurde die gebürtige Somalierin schon mehrmals zur „beliebtesten Politikerin“ gekürt. Der islamistische Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh machte Hirsi Ali international bekannt, denn sie hat das Drehbuch zu seinem umstrittenen Kurzfilm „Submission“ verfasst.
Thema in Film und Essayband: die Unterdrückung der muslimischen Frauen durch den Koran. Nun würde niemand leugnen, dass es im Islam Ehrenmorde gibt, dass Mädchen gegen ihren Willen verheiratet oder zum Kopftuch gezwungen werden. Doch bei Hirsi Ali gibt es nur diesen Islam; alle moderaten Formen werden ausgeblendet. Islam und Islamismus sind für sie identisch; gläubig ist letztlich nur der Fundamentalist.
Das gilt im Übrigen auch für Christen. Wie radikal und eindimensional Hirsi Ali Religion versteht, zeigt sich in einer absurden Polemik gegen den christdemokratischen Ministerpräsidenten der Niederlande. Balkenende spreche „immer über die biblischen Normen und Werte, nie über das, was Gott von uns zu tun oder zu lassen verlangt. […] Ich bin überzeugt, dass Balkenende kein Christ ist.“
Nur wer sich Gott ausliefert, glaubt wirklich. Doch irgendwie scheinen die Christen mehr Glück gehabt zu haben als die Muslime, die sich einer besonders grausamen Religion unterwerfen. „Die Beziehung eines Muslims zu seinem Gott: Sie ist angsterfüllt. Unser Gott fordert völlige Hingabe.“ Der Islam sei „rückständig“ und „prämodern“, weil er Selbstreflexion verbiete. Also setzt Hirsi Ali auf den „liberalen Westen“, auf die Aufklärung: „Gönnt uns einen Voltaire.“ Zumindest die muslimischen Einwanderer in Europa sollen zur Selbstkritik und zur Integration gezwungen werden. Doch dies verhinderten leider oft die „Kulturrelativisten“, die Muslime immer nur als Opfer sehen. Das sei „Rassismus in Reinform“.
Hirsi Ali setzt auf die Autorität ihrer Zeugenschaft: „Ich bin Muslima gewesen, ich weiß, wovon ich spreche.“ Allerdings erkennt sie nur zu gut, dass es ihren absolutistischen Anspruch schmälert, dass kaum eine islamische Frau ihre Ansichten teilt. Also gesteht Hirsi Ali ihren Glaubensgenossinnen die unmittelbare Selbsteinsicht nicht zu, die sie für sich selbst reklamiert: „Ich weiß, dass die Frauen, die sich muslimisch nennen, mich heute noch nicht verstehen, aber eines Tages werden sie ihre Scheuklappen ablegen.“
Dafür verstehen die Niederländer sie umso besser. Sie fühlen sich in ihren Ansichten über den Islam bestätigt. Der freie Journalist Karsten Polke-Majewski konstatiert, dass „die Niederlande repressiver werden“. Das gilt nicht nur für die Integrationsdebatte – parallel und damit verschränkt radikalisiert sich auch das Bedürfnis nach Sicherheit.
Die Niederlande seien ein „Land in Angst“. Rund 80 Prozent glauben, dass die Delikte ständig zunehmen, und viele fürchten, dass es noch schlimmer wird. Dennoch hat die Kriminalität kaum zugenommen – allerdings stieg die Zahl der Gewaltdelikte seit 1996 deutlich an. Zumindest scheinbar.
Tatsächlich hat sich vor allem die Definition geändert. Galten früher nur körperliche Angriffe als Gewalt, so ist die Toleranzschwelle inzwischen deutlich gesunken. Nun werden auch verbale Bedrohungen geahndet. Ein „politisch-publizistischer Verstärkerkreislauf“ begann: Videokameras auf Plätzen, Polizisten auf Streife und Razzien auf der Straße sollten für „sichtbare Sicherheit“ sorgen. Die Folgen waren paradox: Die Bürger kamen zu dem Schluss, dass ihre Gegend wirklich sehr gefährlich sein muss, um diesen Aufwand zu rechtfertigen.
Besondere Verdachtspersonen sind nun die Ausländer. „Solange die Niederländer dachten, ihre Probleme sind niederländische, haben sie sie akzeptiert“, wird der Amsterdamer Historiker James Kennedy zitiert. Nun macht sich das Gefühl der Entfremdung und Enteignung breit. Polke-Majewski diagnostiziert eine „grundlegende Krise der Bürgergesellschaft“. Den „liberalen Westen“, völlig rational und aufgeklärt – den gibt es nur bei Hirsi Ali.
ULRIKE HERRMANN
Ayaan Hirsi Ali: „Ich klage an. Plädoyer für die Befreiung muslimischer Frauen“. Piper Verlag, München 2005, 214 Seiten, 13,90 Euro Karsten Polke-Majewski: „Land in Angst. Kriminalität und innere Sicherheit in den Niederlanden“. Waxmann Verlag, Münster 2005, 175 Seiten, 12,90 Euro