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■ Der deutsch-französische Vorstoß für ein „Kern-Europa“Abschied von der Gemeinschaft

So war das also gemeint, wenn von der EG als einem Modell für gegenseitige Unterstützung, gemeinsames Wachstum und friedliche, solidarische Umgangsformen zwischen den europäischen Völkern die Rede war. Frei nach Darwin sollte es heißen: Die Stärksten bestimmen, und die anderen jagen so lange hinterher, bis ihnen der Atem ausgeht.

Kaum haben Mitglieder der Gemeinschaft ernste Bedenken gegen die Gangart der europäischen Währungspolitik angemeldet, weisen ihnen die selbsternannten „Kern-Europäer“ in Deutschland und Frankreich die Tür. Der kollektive Fußtritt kommt von Ex-Bundesbankpräsident Pöhl bis zur SPD-Wirtschaftsexpertin Matthäus-Maier. Mitterrand und Kohl sollen bereits Szenarios für einen zweistaatlichen Alleingang entwickelt haben. Die Rede geht von einem „Hartwährungsblock“ aus wenigen reichen Ländern in der Mitte der EG und polsternden „Weichwährungen“ um ihn herum...

Es ist zweitrangig, ob Kohl und Mitterrand dieses Szenario tatsächlich entwickelt haben. Wichtig ist, daß das Projekt eines deutsch-französischen Alleingangs Beifall findet. Dabei liegt ihm eine Idee von Europa zugrunde, die von der Geschichte längst überholt ist. Es ist ein Europa der Blöcke und des Kalten Krieges, auf dessen westlicher Seite das Spannungsverhältnis zwischen Deutschen und Franzosen tatsächlich zentral gewesen sein mag.

Irreführend ist, wenn jetzt von einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ die Rede ist. Im Inneren der EG hat es das Nord-Süd-Gefälle immer gegeben. Es war explizites Politikziel der EG, dieses Gefälle mit „Strukturhilfen“ zu überwinden. Weniger Antworten hatte die EG auf den zweiten, schwächeren Ring jenseits ihrer Südgrenze, im Maghreb, parat. Überhaupt keine Anwort fand die EG bislang auf die wirtschaftliche Lage in Mittel- und Osteuropa. Der neue Vorschlag ist nichts anderes als ein bilaterales Sich-aus- der-Verantwortung-Stehlen. Er schreibt ein „Europa der vielen Geschwindigkeiten“ fest. Die wirtschaftlichen Ungleichheiten sollen nur durch Initiative der Schwächsten änderbar sein. Der organisierte Ausgleich im Rahmen einer Gemeinschaft — jahrzehntelang konstituierendes Element der EG — ist nicht vorgesehen.

So war das „Nein“ der DänInnen und das „Jein“ der FranzösInnen nicht gemeint. Keines der beiden Völker hat sich gegen eine Gemeinschaft als europäischen Handlungsrahmen ausgesprochen. Das erledigt jetzt der deutsch-französische Vorschlag. Dorothea Hahn

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