KOMMENTAR: Abschied vom Hirschhornknopf
■ Renate Schmidt löst die glücklose Männerriege der bayerischen SPD ab
Immer wieder haben die bayerischen Sozis versucht, die Schwarzen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Egal, ob sie zu Strauß' Lebzeiten den schwergewichtigen Karl-Heinz Hiersemann per Wahlplakat als Spitzenkandidaten über grüne Wiesen stapfen ließen, um zu signalisieren: Unser Chef hat mindestens genausoviel Gewicht wie F. J. S.; oder ob sie sich, wie diesmal bei der Landtagswahl, mit ihrem von Hiersemann selbst ersonnenen Slogan „Bayern bewahren, Deutschland gestalten, dem Menschen dienen“ noch konservativer gebärdeten als die CSU. Doch der bayerische Wähler hat es nicht eingesehen. Welchen Grund gab es schließlich, statt des Orginals das Imitat zu wählen?
Den Schwenk weg von den Hirschhornknöpfen hin zum High-Tech hatten die Sozis bereits halbherzig vor zwei Jahren versucht. Doch ihr Vordenker, Peter Glotz, verletzte die Spielregeln, als er ohne Absprache sich plötzlich — aber erfolglos — als bayerischer SPD-Spitzenkandidat ins Spiel brachte und an dem alten Vorurteil scheiterte, ein Intellektueller sei dem bayerischen Wähler erst recht nicht vermittelbar. Und so blieb's wieder einmal bei der Lederhosenmentalität eines Rudi Schöfbergers, der mit markigen bayerischen Sprüchen auf den Putz hauen wollte, und der fränkischen rechtschaffenen aber glanzlosen Emsigkeit eines Karl-Heinz Hiersemanns.
Vor allem im letzten halben Jahr — nach der unsäglichen Müll-Seifenoper der SPD — hatte man den Eindruck, die Sozis wollten sich aus ihrer Oppositionsrolle verabschieden und am liebsten auf dem CSU-Schoß Karriere machen. Wie sie die bürgerlichen Müllverbrennungsgegner verprellten, war ein Schauspiel für sich. Nicht zuletzt erinnerte der Zick-Zack-Kurs an ihr zunächst wankelmütiges Verhalten in Sachen WAA. Nachträglich dann den Grünen vorzuwerfen, sie würden den Sozis nur das Wasser abgraben und nicht bereit sein, gemeinsam eine starke Opposition zu bilden, wie Hiersemann es nach der Wahl tat, ist ziemlich unverfroren. Mit wem hätten sie denn diese Opposition bilden können?
Jetzt jedoch scheint mit der Kandidatur von Renate Schmidt für den Posten der Landesvorsitzenden frischer Wind zu kommen. Zwar hat sich die engagierte Frauenpolitikerin in Sachen Müll- Volksbegehren auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, für die Sache der Frauen ist sie jedoch auf jeden Fall ein Gewinn. Außerdem hat die 46jährige ihren Fehler beim Müllkurs bereits öffentlich zugegeben. Mit ihr wird der linksreformerische Flügel der SPD gestärkt. Wenn sich gleichzeitig auch noch ein Wechsel in der Spitzenkandidatur und an der Fraktionsspitze vollzieht und mit Klaudia Martini eine weitere Frau innerhalb der SPD das Sagen hätte, bestünde zumindest die Hoffnung, daß die bayerische SPD sich doch noch zu einer modernen Partei entwickelt, die auch für junge Wähler attraktiv wird und ihre Oppositionsrolle im Freistaat ernst nimmt. Luitgard Koch
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