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Abschiebung nach Suizidversuch

■ Staatsanwaltschaft verzichtet auf Ermittlung gegen „Brandleger“ aus dem Abschiebeknast Ostertorwache

Gestern wurde ein 43jähriger Ägypter, der sich 17 Jahre lang legal in Deutschland aufgehalten hatte, kurzerhand abgeschoben. Im April in Abschiebehaft genommen, hatte er am 20.7. in der Ostertorwache seine Matratze in Brand gesteckt (s. taz vom 22.7. und 27.7.). In einem Zeitraum von drei Wochen hatte damit der fünfte Abschiebehäftling einen Suizidversuch in der Ostertorwache unternommen.

Sein Anwalt, Hans Meyer-Mews, hatte danach schwere Vorwürfe gegen die Polizeibeamten der Ostertorwache erhoben: Nachdem das von seinem Mandanten „aus purer Verzweiflung“ gelegte Feuer gelöscht worden war, sei „der als Täter ausgemachte S.“ in einer Nebenzelle mit Handschellen an einem Zellenfenster angekettet worden. Ein Beamter soll dabei dem Häftling angedroht haben: „So bleibst du bis morgen hier“. Daraufhin schlug S. ein Fenster ein und versuchte, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Jetzt seien „vier oder fünf Beamte“ eingeschritten, die, schreibt der Anwalt, „den Ägypter an Händen und Füßen gefesselt, ihn gewürgt und dann in brutaler Weise an den Handschellen über den Flur gezogen haben“. Dabei stürzte der Häftling so schwer, daß er das Bewußtsein verlor. Als er wieder zu sich kam, wurde ihm zugesagt, seinen Anwalt zu verständigen. Dies aber geschah nicht.

Die Staatsanwaltschaft sah sich gezwungen, ein Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten der Ostertorwache einzuleiten. Noch bevor es zum Abschluß gekommen ist, wurde gestern der wichtigste Zeuge abgeschoben. Der leitende Oberstaatsanwalt Frischmuth hatte zuvor dem Rechtsanwalt schriftlich mitgeteilt, man verzichte auf eine Klage gegen seinen Mandanten als mutmaßlichen Brandleger. Diese hätte einen möglichen Aufschub der Abschiebung bedeutet. „Es kann nicht angehen“, so Frischmuth, „daß ein Abschiebehäftling nur seine Matratze anzustecken braucht, um die bevorstehende Abschiebung zu verhindern.“

Das Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamten werde von der Staatsanwaltschaft indes „mit Nachdruck“ betrieben, versichert der Oberstaatsanwalt. Der Hauptzeuge scheint dabei unwichtig. Der Ägypter war am Freitag zum letzten Mal vernommen worden, ohne daß sein Anwalt informiert worden wäre. Rechtsanwalt Meyer-Mews erwartet angesichts dieses Vorgehens den Ausgang des Ermittlungsverfahrens, das bereits das zweite gegen Polizeibeamte der Ostertorwache ist, mit großer Skepsis. „Wenn dabei nichts herauskommt, werde ich gegen die Verantwortlichen im Stadtamt Strafanzeige wegen Strafvereitelung stellen.“ Im Zweifelsfall kann er dabei auf einen Zeugen zurückgreifen, der die Aussage seines Mandanten bestätigt und am selben Tag in der Ostertorwache einer ähnlichen Behandlung ausgesetzt war.

Ob Meyer-Mews seinen Mandanten vom Ausgang des Verfahrens noch informieren kann, bleibt abzuwarten. Nachdem S. seine Abschiebung weder durch den Suizidversuch noch durch einen mehrtägiger Hungerstreik verhindern konnte, wurde er gestern vom Bundesgrenzschutz ins Flugzeug begleitet. In Ägypten hat der Mann keinerlei Kontakte mehr. Das einzige Geld, über das er verfügt, sind 40 Mark, die ihm ein Mitarbeiter der Asylgruppe Ostertor im letzten Moment zustecken konnte. dah

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