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Abschiebetermin 1992: Heute, 22 Uhr

■ Kurdischer Asylbewerber, politisch aktiv, wird zwangsweise nach Istanbul ausgeflogen

Mit dabei, aber nicht auf dem Foto: Yase Barden beim Hungerstreik gegen die Kurdenverfolgung im Juni 1991 auf dem Bremer Marktplatz Foto: Jörg Oberheide

Heute, Freitag, um 22 Uhr abends wird der kurdische Asylbewerber Yase Barden (Name von der Redaktion aus Sicherheitsgründen geändert) nonstop auf dem Luftweg nach Istanbul abgeschoben. Dies teilte sein Anwalt gestern der taz mit. Der 30jährige Asylbewerber Barden hatte siebeneinhalb Jahre in Bremen gelebt, sich hier offen in einer politischen kurdischen Organisation betätigt, an Hungerstreiks teilgenommen, Flugblätter und Zeitungen verteilt.

Seit dem 19. Dezember sitzt Barden in Abschiebehaft. Verhaftet worden war er an jenem vorweihnachtlichen Tag im Gebäude der Ausländerbehörde an

hier bitte das Foto

mit den hungerstreikenden

Türken in weißen Kitteln

der Pfalzburger Straße. Er hatte dort seinen Aufenthalt verlängern lassen wollen. Und um ganz sicher zu gehen, hatte sein deutscher Begleiter sich zuvor beim Verwaltungsgericht nach Bardens rechtlicher Lage erkundigt und die Auskunft erhalten, Barden drohe keine Gefahr, denn sein Asylfolgeverfahren sei vor Gericht noch nicht abgeschlossen.

Doch diese Auskunft erwies sich als falsch. Fatal für Yase Barden: In der Ausländerbehörde hielten Mitarbeiter ihn hin und riefen die Polizei. Was Bardens deutsche Helfer Thomas Stabke nicht wußte: Am Verwaltungsgericht dürfen nur RichterInnen und nicht MitarbeiterInnen der Ge

schäftsstellen verbindliche telefonische Auskünfte erteilen.

Yase Barden wird nach Schätzung seines Anwalts der dreißigste Bremer Kurde sein, der in den letzten Monaten zwangsweise in die Türkei verbracht wurde. Denn bundesweit ist am 1. Oktober 1991 für türkische KurdInnen der Abschiebestopp aufgehoben worden. In Bremen hat der neue Innensenator Friedrich van Nispen (FDP) nur Flüchtlinge aus Afghanistan, TamilInnen aus Sri Lanka sowie Kurdinnen aus dem Irak der Gefahr einer Abschiebung enthoben.

Die Bremer Innenbehörde wies gestern darauf hin, daß Bremen bei türkischen KurdInnen eine grundsätzliche Verlängerung des Abschiebestopps zwar nicht möglich sei, jedoch „eine Einzelfallprüfung stattfindet, die sich auch auf die besonderen Abschiebungshindernisse wie z.B. Folter, Todesstrafe und Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention, bezieht.“

Vergeblich hatte der Bremer Rechtsanwalt, Hans-Eberhard Schultz, in dem Einzelfall Yase Barden versucht, geltend zu machen, daß dessen politische Aktivitäten „den türkischen Behörden durch ihr umfangreiches Agenten- und Spitzelnetz bekannt geworden sind“ und daß Barden in der Türkei „Haftstrafen bis zu fünf Jahren und insbesondere Folter zur Erpressung von Geständnissen“ drohen. Schultz berichtete, sein Mandant habe angekündigt, er werde „nicht lebend in der Türkei ankommen“ und Selbstmord begehen.

Amnesty International hatte bereits am 17. Januar 1991 in einer Stellungnahme für das Verwaltungsgericht Hamburg darauf hingewiesen, daß abgeschobene Asylbewerber „häufig“ am Flughafen Istanbul festgehalten würden, um zu überprüfen, „ob etwas vorliegt, unterhalb der Ebene eines offziellen Haftbefehls.“ Eine solche Polizeihaft sei oft mit Mißhandlungen verbunden.

Der Bremer Anwalt Albert Timmer, der ebenfalls viele kurdische Mandanten hat, berichtete auf Anfrage gestern von einem Hamburger Kollegen, der im Oktober in Bingöl/Kurdistan gewesen sei, um etwas über das Schicksal seiner abgeschobenen Mandanten zu erfahren. Nur einen Mandanten habe der Hamburger Kollege überhaupt auffinden können. Dieser Mandant sei unmittelbar nach der Ankunft auf bloßen Verdacht, daß er im Ausland politisch tätig gewesen sein könnte, in Istanbul auf dem Flughafen festgenommen und auf dem Polizeipräsidium zwei Tage gefoltert worden. Rechtsanwalt Timmer: „Dieses Vorgehen ist nicht die Regel, kann aber nicht ausgeschlossen werden.“ B.D.

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