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Archiv-Artikel

INTERCITY NACH BERLIN Abgestanden

IC ist wirklich die widerwärtigste Art, Bahn zu fahren

Im Intercity aus Hamburg-Altona wird die Luft knapp. Ich mag nicht mehr. Seit vier Stunden sind wir jetzt unterwegs. Mein Hintern tut weh. Im Abteil steht die Luft. Zum Glück sitze ich wenigstens am Gang. Ich habe die Abteiltür eine Handbreit aufgeschoben, jetzt strömt ein wenig von der ein bisschen weniger abgestandenen Gangluft herein. Mit Kloduft versetzt.

IC ist wirklich die widerwärtigste Art, Bahn zu fahren. Die Lüftung funktioniert nie, und die Fenster kann man nicht öffnen. Das ist fast schlimmer als die D-Züge zu DDR-Zeiten, als es noch Raucherabteile gab.

Die anderen fünf Fahrgäste schlafen. Es ist ein bisschen gemein, Leute beim Schlafen zu beschreiben, aber lange nicht so fies, wie sie zu fotografieren. Oder anzumalen. Oder beides. In umgedrehter Reihenfolge.

Der Mann am Fenster hat eine Narbe an der Oberlippe. Die Frau daneben hat gekichert, als die Durchsage kam: „Se- ge-te Fa-ä-ste! -ästa -alt -ittenberge!“

Ihnen gegenüber schläft die junge Frau, die mit uns in Altona eingestiegen ist. Sie hat den Haarknoten ganz oben auf dem Kopf. Ich weiß ja, das ist jetzt chic. Trotzdem muss ich immer an die Witwe Bolte von Wilhelm Busch denken, wenn ich diese Frisur sehe.

Das dicke Mädchen neben mir hat bis eben noch die Sextipps in irgendeiner Frauenzeitschrift gelesen. Ich habe ein ganzseitiges Foto gesehen, in dessen Mitte strahlte ein Männerpo zwischen den Beinen einer dürren Frau auf einer Küchenanrichte. Jetzt träumt das Mädchen.

Paul, mir gegenüber, schläft, wie immer, seit Fahrtantritt. Er ist wirklich der langweiligste Reisebegleiter, den man sich vorstellen kann. Er isst nichts, er redet nicht, er schläft sofort ein. Jedes Mal. „Meine Damunterrn, in wenjen Minnuten errchn wir Blin Spanndau. Sie ham Anschlss an den RE 4332 nach Wittenberge.“ Halleluja, Berlin!

LEA STREISAND