: Abgeschliffene Idee vom Volkstheater
■ Wie sich mit einer Groteske ein Verbrechen in Gerechtigkeit verwandeln lässt: Dario Fos „Der Dieb, der nicht zu Schaden kam“ im Altonaer Theater
Einbrechern haftet aus der Sicht von Wohnungsbesitzern immer etwas Unnötiges an. Dass sie die Bewohner nicht nur nach Strich und Faden beklauen, sondern auch die ein oder andere Leiche aus dem Keller kramen, zeigt exemplarisch Dario Fos Der Dieb, der nicht zu Schaden kam. Die sonst so klare Gleichsetzung von Einbrechen und Verbrechen akzeptiert der Dieb in dem frühen Stück des 1997 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Dramatikers mitnichten. Wie immer ist schießlich alles eine Frage der Perspektive.
Gerade an dieser Groteske von 1958 lässt sich Fos Idee von Volkstheater ablesen: politisches Theater, das die Probleme des Volkes auf die Bühne bringt. Dazu das Ganze in Italien: Es hagelt Seitenhiebe auf die reiche, bigotte Oberschicht sowie den Staat, der Missverhältnisse begünstigt. Zwar ist der Dieb in diesem System an sich der Leidtragende, am Ende jedoch – der Titel verrät es – aus dem Schneider. Und so wird aus einer Untat ein gerechtes Vorgehen.
Politik als Farce getarnt, Menschen erheitern wollen und doch eine Botschaft haben: Gestern hatte die Geschichte um den Dieb, seine Frau und zwei untereinander fremdgehende Ehepaare im Alto-naer Theater Premiere – und die zeigte, dass sich Ideen auch einfach abschleifen. In der Inszenierung von Victoria Schubert gibt Hannelore Dröge souverän die betuliche Hausherrin, deren schwerwie-gendste Probleme sich auf ihr karodeckentragendes Hundchen und das Installieren der sprechenden Alarmanlage zu beschränken scheinen. Trotzdem gelingt gleich zwei Dieben der Einbruch in die Wohnung: Zur 007-Kennmelodie hangelt sich ein Maskierter ins Wohnzimmer, das ein pfiffig eingesetzter Bildschirm dominiert (Bühne: Stephan Koch). Den konventionellen Weg durchs Fenster nimmt der betagte Profi (Edgar Bessen).
Unerwarteterweise platzt der Hausherr (Joachim Lautenbach) an der Seite seiner Geliebten (Kerstin Hilbig) ins Geschehen. Vollkommen aphrodisiert – und dabei schon zu Beginn zu laut – bemerken die beiden nichts vom Einbruch. Wäre da nicht die Frau des alten Hasen (Monika Häckermann): Die nämlich überwacht ihren Mann „auf der Arbeit“ via Bildtelefon – und löst eine Lawine von Missverständnissen aus, die mit jeder Umdrehung absurdere Züge annimmt. Dass der kleine Köter wie einstudiert ins Publikum blickt und sich in den Wirren ein Schlüssel im Pyjama verliert, belustigt ungemein. Mehr um Ehegemeinschaften als um Gesellschaftskritik kreist Schuberts Regie. Und so amüsiert manch Wiedererkennungseffekt ohne nennenswert zu beschweren.
Liv Heidbüchel
noch bis 20.5., Altonaer Theater
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