: Abfahrtslauf ins Gendertal
In „Erik(A)`` von Kurt Mayer wurde ein Mann Ski-Weltmeisterin
Heute sehen wir in den Filmausschnitten aus den 60er Jahren eindeutig einen Mann! Zwar im Kleid und mit Dauerwelle, aber alles an seinem Körper ist nicht rund, sondern eckig, und seine Bewegungen sind eher forsch als anmutig. Was aber, wenn alle Welt als ganz selbstverständlich annehmen würde, dass dieser junge Mensch eine Frau sei - eine erfolgreiche Sportlerin noch dazu, eine Weltmeisterin im Skiabfahrtslauf? Diese Frage drängt sich einem auf, wenn man den Dokumentarfilm „Erik(A)“ von Kurt Mayer sieht. Denn 1966 feierte ganz Österreich seine damals 18-jährige Ski-Weltmeisterin Erika Schinegger, die so eindeutig ihren Konkurrentinnen überlegen war, weil sie sich auch auf den Skiern bewegte wie ein Mann. Als dann im nächsten Jahr zur Vorbereitung der olympischen Winterspiele die Sportlerinnen zum ersten Mal routinemäßig medizinischen Sextests unterzogen wurden, stellte sich heraus, dass Erika ein Mann mit nach innen gewachsenen Geschlechtsteilen war. Er wusste zwar schon von Kindheit an, dass da etwas mit seinem Körper nicht stimmte, aber absichtliche Täuschung konnte man ihm nicht vorwerfen. Nach einer Operation stellte er sich dann als Erik der Öffentlichkeit vor, und baute sich eine neue, erstaunlich erfolgreiche Existenz als Besitzer einer Skischule auf.
Diese wahre Geschichte ist so erstaunlich, dass ein Film darüber kaum misslingen kann. Zudem arbeitete Erik Schinegger daran mit und konnte seine Geschichte selber sehr gut analysieren und erzählen. Als Hobbyfilmer von Kindheit an hat er eine Fülle von Super-Acht-Aufnahmen, sodass es von allen Stadien seiner Entwicklung Bilder gibt. Mayer hat gut recherchiert, viele Zeitzeugen befragt und sich bei dem komplexen Thema mit seinen vielen Aspekten wie Geschlechtsidentität, Mediensport, Sensationsgier und der Enge des dörflichen Lebens nicht verzettelt. Es gibt einige grandiose Szenen wie etwa jene, in der Schinegger sich nach über dreißig Jahren noch einmal mit den Ärzten, die ihn operierten und einem damaligen Sportfunktionär trifft, und dessen verlegenes Lachen nach all den Jahren mehr über die damalige Panik unter seinesgleichen aussagt als all die Schlagzeilen aus den Archiven. Der damalige Nationaltrainer sagt auch jetzt noch „sie“ statt „er“, wenn er von dem heutigen Erik spricht. Sehr interessant ist auch, wie Eriks erste Ehefrau und seine Tochter über ihn sprechen. Nach der Operation war ihm scheinbar nichts wichtiger, als seine Männlichkeit zu beweisen, und so kaufte er sich als erstes einen Porsche, benahm sich dann als Gatte wie ein Macho und schmückte sich schließlich mit seiner Tochter wie mit einer Trophäe.
Doch merkwürdig: bei all der Materialfülle und obwohl das menschliche Drama hier zugleich mitfühlend und analytisch klug dokumentiert wird, zieht sich der Film. Oft findet Mayer keine interessanten Bilder zu den Originaltönen, und dann gibt es plötzlich lange Einstellungen von Schneelandschaften in Zeitlupe, die bemüht künstlerisch scheinen. Gleich dreimal muss man so den gleichen Abfahrtslauf von Erik ansehen, und auch, wie er sich nass rasiert, muss uns unbedingt vom Einpinseln bis zum letzten Haar unter der Nase gezeigt werden. Der Verdacht drängt sich auf, dass Mayer Material für etwa eine Stunde Stoff hatte. Aber ein Langfilm, der Chancen in den Kinos haben soll, muss etwa 90 Minuten lang sein, und so hat der Regisseur den Film halt etwas gestreckt. Aber man sieht ihm die handwerklichen Mängel nach, weil die Geschichte dann doch so verblüffend und bewegend erzählt wird. Wenn man sie nur immer verstehen würde, denn wie bei vielen Filmen aus Österreich wären auch hier Untertitel hilfreich gewesen.Wilfried Hippen