Abberufung von Spitzenbeamten in Ukraine: Rätselhafte Suspendierungen in Kiew
Der ukrainische Präsident stellt den Chef des Inlandsgeheimdienstes und die Generalstaatsanwältin des Landes frei. Die Vorgänge geben Rätsel auf.
Andrij Smirnow, stellvertretender Chef der Präsidialadministration, erklärte am Montag: Der Präsident und die ukrainische Gesellschaft hätten nun „lange genug auf konkretere und möglicherweise radikale Ergebnisse der Leiter dieser Behörden gewartet, um die Gesellschaft von Kollaborateuren und Staatsverrätern zu säubern“.
Zuvor hatte Präsident Selenski erklärt, dass man beim Inlandsgeheimdienst viele Verräter, die mit dem Feind zusammenarbeiten, enttarnt habe. So sei vor wenigen Tagen der ehemalige Leiter der für die Krim zuständigen Abteilung des SBU, Oleh Kulinych, verhaftet worden. Man habe herausgefunden, dass dieser Staatsgeheimnisse an Russland weitergegeben habe.
Nach Angaben ukrainischer Offizieller konnten russische Truppen nur deswegen die Stadt Cherson im Süden des Landes einnehmen, weil der Inlandsgeheimdienst dort wichtige Aufgaben nicht wahrgenommen habe. So sei es versäumt worden, die Antonowsky-Brücke über den Fluss Dnipro zu sprengen. In der Folge sei es für die russischen Truppen ein Leichtes gewesen, in die Stadt einzudringen.
Am 31. März hatte Selenski den Leiter des SBU in der Region Cherson, Serhiy Kryvoruchko, entlassen und ihm den Generalstitel aberkannt. „Derzeit habe ich nicht die Zeit, mich mit all den Verrätern abzugeben“, zitiert das Portal liga.net den Präsidenten. Und weiter: „Aber mit der Zeit werden alle bestraft werden.“
651 Strafverfahren wegen Staatsverrats
Nach Angaben von Selenski wurden inzwischen 651 Strafverfahren wegen Staatsverrats und Zusammenarbeit mit dem Feind eingeleitet. Die Verfahren laufen demnach unter anderem gegen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft, der Ermittlungsbehörden und anderer Strafverfolgungsbehörden.
Weniger eindeutig sind die Beweggründe Selenskis für die Suspendierung von Generalstaatsanwältin Wenediktowa. Die Zeitung Ukrajinska Prawda will von einem „angespannten Verhältnis zum Präsidenten“ erfahren haben. Im Umfeld von Selenski, so die Ukrajinska Prawda, sei man unzufrieden mit der Öffentlichkeitsarbeit der Generalstaatsanwältin gewesen. Kritisiert worden sei auch ihre Entscheidung, die Verfahren gegen russische Kriegsgefangene zu beschleunigen. Dadurch hätte sie ukrainische Kriegsgefangene in Russland und auch geplante Gefangenenaustauschaktionen gefährdet.
Das Portal liga.net schreibt, dass der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Haft für Ex-Präsident Petro Poroschenko im Dezember 2021 nicht von Wenediktowa, sondern ihrem Stellvertreter Oleksij Simonenko unterschrieben worden war. Und ausgerechnet Simonenko wurde nun, nach Wenediktowas Freistellung, zum geschäftsführenden Generalstaatsanwalt ernannt.
„Alle hässlichen Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft wurden in den vergangenen Jahren von Simonenko unterzeichnet“, sagte Vitaliy Shabunin, Leiter des Antikorruptionszentrums, gegenüber liga.net. „Der eigentliche Grund für die Entlassung Wenediktowas ist, die eigenen Leute vor einer möglichen Bestrafung zu schützen“, so Schabunin.“
Der Chefredakteur des Portals Censor.net, Jurij Butusow, glaubt, dass mit der faktischen Entlassung der beiden Behördenchefs die Macht von Andrij Yermak, dem Chef der Präsidialadministration, noch weiter zugenommen hat. Nun habe der Kampf um die Wiederwahl von Präsident Selenski begonnen, so Butusow. Der Politologe Wolodimir Fesenko glaubt unterdessen, dass noch weitere Abberufungen hoher Beamter ins Haus stehen werden.
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