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Archiv-Artikel

Ab in den Busch

Tiger, Patriarchen und Teeplantagen: David Davidars Roman „Das Haus der blauen Mangos“ ist eine nostalgische indische Familiensaga aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – geschrieben von einem literarischen Global Player

von KATHARINA GRANZIN

„Das Haus der blauen Mangos“ ist kein ganz gewöhnliches Romandebüt. Sein Autor David Davidar mag mit 43 Jahren ein später Jungschriftsteller sein, doch als langjähriger Chef von Penguin India ist er alles andere als ein Neuling auf der literarischen Szene. Davidar versteht viel vom Schreiben und hat sehr viel gelesen. Das merkt man; kurzweilig und unterhaltsam erzählt ist sein Erstling auf jeden Fall.

Für eine drei Generationen umspannende indische Familiensaga hat der Roman mit seinen gut 560 Seiten einen geradezu bescheidenen Umfang. Immerhin umfasst die Handlung, die 1899 einsetzt und 1947, im Jahr der Unabhängigkeit, endet, ein ereignisreiches halbes Jahrhundert. Sie erzählt die Geschichte der Familie Dorai aus einem Dorf an der Südspitze Indiens, in dem eine besondere Art tiefblauer Mangos gedeiht. Der Dorfälteste Solomon Dorai stirbt während der Schlacht zwischen Angehörigen verfeindeter Kasten, in die er gegen seinen Willen hatte ziehen müssen. Frau und Kinder suchen Zuflucht in der Fremde; doch Jahre später wird der zu Wohlstand gelangte Sohn Daniel zurückkehren, um mit der Familiensiedlung Doraipuram eine neue Tradition zu begründen. Sein Bruder dagegen, aktiver Untergrundkämpfer gegen die Kolonialregierung, hat zuvor in einem Gefängniskrankenhaus sein Leben ausgehaucht.

Bereits diese Grundkonstellation macht deutlich, dass Davidar seine Figuren mit einer großen symbolischen Bürde belädt. Hier der weise Patriarch, Sinnbild des „Guten“ im Alten, mit dessen Tod der Zerfall des Landes einsetzt. Dort der Repräsentant der Gründergeneration, der neue Wege des Zusammenlebens sucht. Und immer so fort. Diese Prototypisierung der Figuren ist sicher auch eine Frage der Erzählökonomie, geht aber zulasten des Leserinteresses an den Charakteren. Die einzige etwas offener angelegte Hauptfigur ist die des jungen Kannan Dorai, Sohn des Siedlungsgründers Daniel, der sich wegen der Ehe mit einer Angloinderin mit seinem Vater überwirft und als Teeplantagen-Manager für die Engländer arbeiten geht.

Dieser Schlussteil ist am glaubwürdigsten – vielleicht weil Kannan genügend Erzählzeit zugemessen bekommt, um sich vom blind verliebten Jüngling zum verantwortungsvollen neuen Patriarchen zu wandeln. Seine angloindische Angetraute allerdings ist, wie es das tradierte Klischee verlangt, lediglich hinter Geld und Einfluss her. Diese Person mit ihren modernen Sitten, englische Tänze zu tanzen und den Ehemann mit dem Vornamen anzusprechen, kann im Vergleich zu den herzensguten, sich mit ihrer traditionellen Rolle bescheidenden Dorai-Frauen kaum Sympathiepunkte sammeln. Ein allzu krass geratener Kontrast, der den unbehaglichen Eindruck eines hinter nostalgischen Klischees verborgenen reaktionären Weltbildes hinterlässt.

Wenn man von Indienklischees spricht, so darf eine anständige Tigerjagd nicht fehlen. Dass Kannan gegen Ende des Romans in den Busch geschickt wird, treibt die Symbolik ins Schmerzhafte. Denn ist der Tiger erst besiegt, wird gleichzeitig der Weg zur Unabhängigkeit frei, und unser Held, gereift zum Mann, ist nun in der Lage, dem großen Familienprojekt des Vaters neues Leben einzuhauchen. All das ist so furchtbar, gähnreizauslösend absehbar. (Trotzdem ist die Tigerjagd eigentlich ziemlich spannend.)

Vielleicht liegt das Grundproblem des Romans in seinen Adressaten. Davidar, der sein Manuskript gleich (unter Pseudonym) an den britischen Agenten von Arundhati Roy schickte, mag beim Schreiben am ehesten eine westliche Leserschaft vor Augen gehabt haben. Und die sehr positive Resonanz, die der Roman bisher in der englischsprachigen Welt gefunden hat, zeigt, dass der Agent mal wieder eine gute Nase hatte. Es kann ja mitunter auch ganz befriedigend sein, die Klischees, die man im Kopf herumträgt, von der Literatur bestätigt zu finden. Vor allem, wenn sie doch recht hübsch erzählt werden.

David Davidar: „Das Haus der blauen Mangos. Eine indische Familiensaga“. Aus dem Englischen von Diane von Weltzien. Europa Verlag, Hamburg 2003, 576 S., 24,90 €