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Ab 1. Juli wird Kranksein zum Luxus

■ Weitere Angleichung an das westliche Gesundheitssystem: Ab 1.7. 91 müssen Ostdeutsche zum ersten Mal für Krankenhausaufenthalt bezahlen/ Auch Rezeptgebühren fällig/ Nur noch fünf bezahlte Tage für Pflege von kranken Kindern

Berlin. Ab 1. Juli müssen die Ostdeutschen wieder einmal tiefer in die Taschen greifen. Nachdem bereits im vergangenen Sommer und zum 1.Januar im Gesundheits- und Sozialwesen der ehemaligen DDR grundlegende Veränderungen eingetreten waren, beginnt im Juli eine weitere Etappe der Angleichung an die alten Bundesländer. Ostdeutsche müssen dann beispielsweise erstmals für einen Krankenhausaufenthalt oder eine Rettungsfahrt zuzahlen und eine sogenannte Rezeptblattgebühr entrichten.

Je Tag im Krankenhaus müssen Erwachsene dann zunächst 2,50Mark pro Tag zahlen, allerdings für höchstens 14 Tage. Ab 1.Januar 1992 erhöht sich der Betrag auf fünf, ab 1.Juli 1992 auf zehn Mark täglich. Bei stationären Kuren beträgt der Eigenanteil bereits vom 1.Juli 1991 an fünf Mark pro Tag. Bei ambulanten Kuren zahlt die Kasse die Kosten für den Arzt, die Bäder und Kurmittel. Für Unterbringung und Verpflegung wird ein Zuschuß von maximal 15Mark pro Tag gewährt.

Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren brauchen grundsätzlich keine Zuzahlungen zu leisten. Das gleiche gilt für Empfänger von Sozial- und Arbeitslosenhilfe, Bezieher von Ausbildungsförderung und Übergangsgeld. Befreit sind desgleichen Versicherte, deren Familien-Bruttoeinkommen eine bestimmte Grenze nicht überschreitet. Bei Alleinstehenden ist dieser Höchstverdienst auf monatlich 616 Mark festgesetzt, bei Familien mit zwei Kindern auf 1.155. Auch Personen, die mehr verdienen, können teilweise von Zuzahlungen befreit werden, wenn sie mehr als einen „zumutbaren Anteil“ ihres Einkommens aufwenden müßten. Bei einem jährlichen Bruttoeinkommen einer dreiköpfigen Familie von 27.000 Mark liegt die zumutbare Zuzahlungssumme beispielsweise bei 410 Mark im Jahr.

Für Arznei- und Verbandmittel müssen die Neu-Bundesbürger ab 1.Juli pro Verordnung 1,50 Mark zahlen, das ist die Hälfte des im Alt- Bundesgebiet üblichen Betrages. Diese Rezeptblattgebühr gilt allerdings — analog zur alt-bundesdeutschen Regelung — nur für Medikamente, für die es keinen Festbetrag gibt. Auf diese Höchsterstattungsbeträge muß der Arzt im Falle einer Verordnung hinweisen.

Ab 1. Januar 1992 gelten in ganz Deutschland die gleichen Regelungen. Dann sind für ein nicht von der Festbetragsregelung erfaßtes Medikament Gebühren in Höhe von 15 Prozent des Preises, höchstens jedoch 15 Mark fällig.

Für Fahrten zur stationären Behandlung, Rettungsfahrten sowie Krankentransporte sind ab Juli zehn Mark aus der eigenen Tasche zu zahlen. Den Rest übernehmen die Kassen. Vom 1. Juli kommenden Jahres an liegt der Eigenbeitrag bei 20Mark. Auch für Heilmittel, beispielsweise Bäder, Massagen, Krankengymnastik, Sprach- und Beschäftigungstherapie, muß ab 1. Juli zugezahlt werden: fünf Prozent der Kosten. Ab 1. Juli 1992 gilt in Ost und West gleiches Recht. Dann sind zehn Prozent der Kosten selbst zu tragen.

Für Hilfsmittel wie orthopädische Schuhe müssen ab 1. Juli 70Mark zugezahlt werden, halb soviel wie in Westdeutschland. Nach dem 30. Juni 1992 gilt in ganz Deutschland der gleiche Regelsatz (140Mark).

Für Brillen zahlen die Kassen bereits seit 1. Januar höchstens 20 Mark pro Fassung zu. Anspruch auf neue Gläser hat, bei wem sich die Sehstärke um mindestens 0,5 Dioptrien verändert hat.

Bei Hörgeräten, Rollstühlen und Prothesen wurden zwischen den Kassen und Herstellern Vertragspreise ausgehandelt, die in der Regel eine Versorgung ohne eigene Zuzahlung der Patienten gewährleisten. Für Hörgeräte sind jedoch Batterien selbst zu zahlen, ausgenommen sind wiederum Kinder und Jugendliche.

Bei Zahnersatz gilt ebenfalls bereits seit 1. Januar, daß die Kassen 80 Prozent der Arztkosten und der zahntechnischen Leistungen übernehmen. Diese Regelung gilt bis 30.Juni 1992. Wo die Behandlung schon 1990 begonnen wurde, werden die vollen Kosten gezahlt.

Ebenfalls zum Ende des ersten Halbjahres 1991 läuft die großzügige Regelung der ehemaligen DDR aus, wonach Versicherte bei Krankheit eines Kindes für sechs Wochen Geldleistungen erhielten. Ab 1.Juli gilt gesamtdeutsches Recht. Danach erhalten Mütter oder Väter pro Kind und Jahr bis zu fünf Tage Krankengeld, wenn es die Pflege des Kindes erforderlich macht. Das gilt für Kinder bis zum Alter von acht Jahren. dpa

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