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„Aalen ist Europameister“

Nach ihrer Finalniederlage zetern Goldbachs Ringer weiter über den multinationalen Meister von der Ostalb  ■ Aus Aalen Hagen Stegmüller

Erst als der zehnte und letzte Kampf vorüber war, wurde Thomas Zander zum ersten Mal an diesem Abend richtig gefordert. Der Vorzeigeringer des KSV Germania Aalen mußte sich nach dem souveränen 14:7,5-Sieg (Hinkampf 11:10) im Finale der Deutschen Ringer-Mannschaftsmeisterschaft über den AC Bavaria Goldbach entscheiden: Der Weltmeister, mehrfache Europameister und Olympiazweite ließ den Asti Spumante stehen, griff zum trockenen Rilling-Sekt und setzte an.

Bemerkenswerte Szenen hatten sich zuvor zweieinhalb Stunden lang in der Ellwangener Rundsporthalle abgespielt. Schon nach dem zweiten Kampf, dem unerwarteten Punktsieg im Schwergewicht von Aalens Aftandil Xanthopoulos gegen Sven Thiele, hatten die rund 4.000 Zuschauer mit dem Feiern begonnen. Eine Abordnung der Aalener Musikkapelle spielte auf, der Hallensprecher überschlug sich fast, die am Mattenrand versammelte Riege der „Ostalb-Bären“ genannten Aalener Recken lag sich in den Armen oder tanzte.

Als nach dem siebten Sieg des Publikumslieblings Abdel-Ghani Yalouz die Vorentscheidung gefallen war, winkte KSV-Vorsitzender Karl Maier, Aalens schlohweißer Ringer-Guru, Thomas Zander zu sich, schlang die Arme um den Hals seines treuen Gefährten und gratulierte. Die letzten beiden Kämpfe waren für die Statistik, dann waren die aus Aalen mit Bussen herbeigekarrten Fans nicht mehr zu bremsen, die Matte Sekunden später überfüllt mit johlenden, siegestrunkenen Fans. Zuerst wurde Trainer Ahmet Cakici fast bis ans Hallendach geworfen, anschließend Ringer-Chef Maier. Mehr Mühe, Höhe zu gewinnen, hatten Kämpfer und Fans dann mit Uli Scholz, dem millionenschweren Sponsor.

Etwas bescheidener wurde auch am Rande der Matte gefeiert, bei den Gästen aus dem nordbayerischen Goldbach. „Goldbach ist deutscher Meister, Aalen ist Europameister“, hatten die wenigen mitgereisten Fans schon während des Kampfes zynisch skandiert. Eine Anspielung auf die Tatsache, daß im Aalener Ringerteam so gut wie keine deutschen Athleten mehr zu finden sind. „Wir wollten ein bißchen Zündstoff reinbringen“, befand Bavaria-Vorsitzender Jens Walter. Daß es zwischen beiden Lagern Animositäten gibt, zeigte sich spätestens beim sechsten Kampf zwischen Schamil Gitinow (KSV) und Ralf Fleckenstein, als sich Trainer, Betreuer und Kämpfer beider Teams auf der Matte ein wildes Handgemenge lieferten. Der KSV-Vorsitzende persönlich mußte Schlimmeres verhindern.

„Wir können den Europazug, den uns die Politik vorgegeben hat, nicht mehr aufhalten“, verteidigte Karl Maier hinterher die Aalener Pläne, auch beim Versuch einer erneuten Titelverteidigung auf ausländische Spitzenathleten, vor allem aus Osteuropa, zu setzen. „In zwei, drei Jahren liegt der deutsche Ringsport am Boden“, konterte der Goldbacher Jens Walter. Ob der sponsorenknappe achtfache Meister nächstes Jahr noch antreten kann, ist „derzeit noch ungewiß“. Walter muß auf die eigene Jugend setzen und beschwört auch die anderen, „den deutschen Nachwuchs nicht gegen europäische Spitzenathleten zu verheizen“.

„Schwachsinn!“ entgegnete der Aalener Trainer Cakici: „Die deutschen Talente müssen sich eben durchsetzen. Es zählt nur die Leistung“. Die sieht so aus, daß Aalen 18 Vorrundenkämpfe, zwei Halbfinals und zwei Finalkämpfe gewonnen hat – also alle.

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