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zukunft des nahverkehrsASTRID KARL über falsche Finanzierung und mangelnden Wettbewerbsdruck

Wer soll das bezahlen?

„Fahrt alle Taxi!“ war der Titel eines Kommentars von Andreas Knie, Techniksoziologe an der TU Berlin, an dieser Stelle im Februar, anlässlich des 100sten Jubiläums der Berliner U-Bahn. Die These: Die individualisierte Gesellschaft benötigt keine Massentransportmittel mehr. Die taz diskutiert in Reaktion auf diese streitwürdige These – immer samstags – die „Zukunft des Nahverkehrs“. Zuletzt schrieb Oliver Schöller „ÖPNV und Wohlfahrtsstaat in der Krise“

Irreführend und gefährlich sei es, „U-Bahn“ zu nennen, was über unseren Köpfen fährt, singt Sven Regener auf der neuen CD von „Element of Crime“. Ebenso trügerisch und riskant ist es, ein jahrzehntelang vernachlässigtes Verkehrssystem wie den ÖPNV kurzerhand in „Umweltverbund“ umzubenennen, nur um ihn in den ungleichen Wettkampf mit dem Auto zu schicken. Größtes Handicap: desolate Finanzierung und schlechte Angebotsstruktur.

Dennoch erhofft sich Berlin langfristig einen ÖPNV-Anteil am Verkehrsaufkommen von visionären 80 Prozent. Doch wie sieht ein derartig attraktiver Nahverkehr aus? Und vor allem: Wer kann ihn bezahlen? Nahverkehr ist teuer und wird zu großen Anteilen durch die öffentliche Hand finanziert. Das ist nicht außergewöhnlich, denn jeder Verkehr wird durch staatliche Infrastruktur, Steuervergünstigungen oder andere Mittel gefördert.

Trotzdem stehen Busse und Bahnen aufgrund hoher Preise sowie starrer und wettbewerbsfeindlicher Strukturen notorisch in der Kritik. Die gesetzlichen Regelungen unterscheiden zwischen Straßenpersonennahverkehr (Bus, U-Bahn, Straßenbahn) und Schienenpersonennahverkehr (Regionalverkehr auf der Schiene, S-Bahn). Dieser Schienenverkehr profitiert vor allem von Mittelzuweisungen aus dem Regionalisierungsgesetz. Der gesetzlich geregelte Straßennahverkehr ist laut Personenbeförderungsgesetz eigenwirtschaftlich zu betreiben. Das heißt, er wird nichtsdestotrotz reichlich mit öffentlichem Geld bezuschusst. Dazu gehören Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, für den Schüler- und Schwerbehindertentransport, Regionalisierungsmittel sowie Infrastrukturfinanzierungen durch Kommunen und Zuschüsse aus Gewinnen des kommunalen Querverbunds. Die Zahlungen gehen meist direkt an die Verkehrsunternehmen. Diese Art der Finanzierung ist extrem kompliziert, ineffizient und widerspricht teilweise europäischem Recht. Denn die Brüsseler Bestrebungen zur Vereinheitlichung des Binnenmarktes machen keineswegs Halt vor dem Nahverkehr. Die EU will künftig den Wettbewerb um öffentliche Zuschüsse sowie die transparente und diskriminierungsfreie Vergabe der Aufträge. Ziel ist die Herstellung der Dienstleistungsfreiheit und ein effizienterer Einsatz öffentlicher Mittel.

Erfolge sind schon da: Eine EU-Verordnung von Anfang der 90er-Jahre bewirkte immerhin die Anpassung nationaler Gesetze: Ausschreibungen von Verkehrsleistungen laufen nun europaweit. Resultat: ein schleppend anlaufender Wettbewerb. Denn Rechtsunsicherheit und mangelnde Kompetenz bei den Ausschreibern, den so genannten Aufgabenträgern, verzögern die Verfahren. Insbesondere die im Straßennahverkehr geltende, äußerst weit gefasste Definition von „eigenwirtschaftlichen Verkehren“ gilt als größtes „Wettbewerbshemmnis“. Solche Verkehre müssen nicht ausgeschrieben werden, sondern unterliegen dem Genehmigungswettbewerb. In der Regel beantragen aber nur die kommunalen Bestandsunternehmen die entsprechenden Konzessionen. Denn nur sie als Empfängern diverser Zuschüsse können Eigenwirtschaftlichkeit herstellen. Derzeit wird vor dem Europäischen Gerichtshof darüber gestritten, ob solche Zuschüsse als wettbewerbswidrige Beihilfe zu werten sind. Das Plädoyer im März sagte Ja!

Auch ohne eine Klärung dieser Frage wird deutlich, dass eine Reform der Finanzierungsstrukturen notwendig ist. Sinnvoll ist die Bündelung aller öffentlichen Zuschüsse unter einem Dach, nämlich dem der verantwortlichen regionalen oder kommunalen Aufgabenträger. Dadurch wird die durchgängige Bestellung der vor Ort notwendigen Verkehrsleistungen aus einer Hand und im Wettbewerb möglich. Wie Beispiele aus anderen Ländern zeigen, ist die von Befürwortern des Wettbewerbs erwartete Kostenersparnis und Qualitätsverbesserung dann – nach einer Phase der Umgewöhnung – keineswegs utopisch. Wichtige Vorbedingungen wie politischer Konsens, Rechtssicherheit und gesicherte finanzielle Rahmenbedingungen sind für den deutschen ÖPNV derzeit allerdings nicht gegeben. Und auch nur begrenzt in Sicht. Sinnvoll ist zudem, dass auch konkurrierende Verkehrsmittel von den kommunalen Aufgabenträgern geplant und, so erforderlich, gefördert werden. Nur so ist der bisherigen fragwürdigen parallelen Förderung der privaten Pkw-Nutzung und des ÖPNV durch jeweils unterschiedliche staatliche Ebenen zu entgehen.

Astrid Karl ist Sozialwissenschaftlerin in der Projektgruppe „Mobilität“ am Wissenschaftszentrum Berlin. Nächste Woche Wolfgang Schwenk vom Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zu den Finanzierungskulissen im ÖPNV.

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