ANGST VOR DER ZUKUNFT : Wird ’ne Wohnung
Die Weserstraße in Neukölln hat sich in den letzten Jahren von einer tristen, endlosen Gasse durch ein Glasscherben-Viertel zu einem Treffpunkt der Jungen, Kreativen und durch Gehbiere Angeheiterten entwickelt. Zum Glück ist der Block, in dem ich wohne, von den neuen gastronomischen Angeboten, die diese Entwicklung wahlweise ausgelöst oder begleitet haben, weitgehend verschont geblieben. Eine winzige Bar und ein gelegentlich nützlicher Späti ein paar Hausnummern weiter – das war’s. Keine Tapas-Bars für Gesichtstätowierte. Keine Hipster-Cafés für Gepiercte mit Vollbart. Keine Shabby-Chic-Kneipen, in denen das ganze Jahr Teelichter im Halbdunkel die Atmosphäre ewiger Weihnacht verbreiten.
Für den Fall, dass der Elektriker im Vorderhaus irgendwann sein Büro im Erdgeschoss dichtmacht, haben gut betuchte Nachbarn schon angekündigt, dieses aufzukaufen, um eine Pinte in unserem Haus zu verhindern. Ansonsten gibt es in der Nähe keine Ladenlokale, die man zur Tränke für die neu zugezogenen Horden von Jungmenschen umfunktionieren kann. Doch halt – was ist mit der Tür zwei Häuser weiter? Die, die im Lauf der Jahre hinter Telefonbuch-dicken Schichten von Konzertplakaten verschwunden ist? Könnte sich dahinter ein Laden verbergen, den früher oder später ein geschäftstüchtiger Expat als neue Einkommensquelle entdeckt?
Als dort eines Tages ein Loch in der Wand klafft und sich davor Baumaterialien stapeln, schwant mir Ungutes. Auf den Pressholzplatten, die nachts die Baustelle verschließen, steht nach zwei Tagen: „Wir brauchen hier dringend einen neuen Starbucks!“ Zwei Tage später erwische ich einen Bauarbeiter, der gerade mit dem Mauern angefangen hat. Weiter als „Was bauen …“ komme ich aber nicht. „Keene Angst, Meester, det wird ’ne Wohnung“, wird mir beschieden. Ich war wohl nicht der Erste, der gefragt hat. TILMAN BAUMGÄRTEL