ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Hamed Abdel-Samad und der islamische Faschismus
Nächste Woche erscheint Hamed Abdel-Samads Buch „Der islamische Faschismus“ im Droemer Verlag. Auf einer Veranstaltung im Gorki-Theater in Berlin erläuterte der Deutschägypter diese Woche seine – für ihn selbst nicht ganz ungefährlichen – Thesen. In Deutschland steht er unter Polizeischutz, seit er bei einer Debatte in Kairo Mursis Muslimbruderschaft „faschistoide Tendenzen“ bescheinigt hatte. Das war in jener Phase, als die Muslimbrüder sich anschickten, in Ägypten eine theokratische Diktatur zu errichten.
Abdel-Samads Faschismusvorwurf brachte ihm bei islamistischen Scharfdenkern eine Fatwa ein. Ein Professor der Kairoer Al-Azhar-Universität sowie ein Führer der Dschamaa Islamiya forderten seinen Tod. „Ich soll meine Kritik nicht mehr äußern“, sagt Abdel-Samad. „Doch ich tue genau das Gegenteil.“ Also weiterreden: „Der Islam hat faschistoide Züge, die im Islamismus deutlich werden.“ Er sagt aber auch: „Ich will den Menschen nicht ihre Religion wegnehmen, habe nichts gegen Spiritualität, aber wenn die Religion sich ins politisch-juristische System einmischt, dann muss man ihre Bedeutung neutralisieren.“ Säkularismus sei die Lösung, auch für die Menschen der islamischen Welt.
„Ich habe mit Gott kein Problem, solange er sich in meine Angelegenheiten nicht einmischt.“ Er spricht unverklemmt über die Vereinbarkeit von politischem Islam und Demokratie: „Schauen Sie, würden Sie einen Mercedes ohne Motor kaufen, um ihn dann von zwei Eseln ziehen zu lassen?“ Auch die europäische Aufklärung musste gegen die Kirche durchgesetzt werden, so Abdel-Samad.
Westlich-kolonialistisch?
Würdigen solche Gedanken Muslime herab? Nein. Vieles, was Abdel-Samad sagt, klingt selbstverständlich – wäre da nicht jene Fatwa aus Kairo oder ein verschwiemelter europäischer Kulturrelativismus, der meint, Menschenrechte und Demokratie passten nicht zur islamischen Welt. Forderungen danach seien westlich-kolonialistisch. Genau das bestreitet der Politologe Abdel-Samad. Denn wer wie die alten „Antiimperialisten“ argumentiere, verhänge eine Art geistige Fatwa über die Kritiker der Islamisten, auch wenn man vielleicht in bester Absicht europäisches Überlegenheitsdenken anprangern wolle.
Eine aufklärerisch verstandene Kritik am Islamismus ließe sich zudem sehr leicht von der Propaganda europäischer Muslimfeindlichkeit unterscheiden, so Abdel-Samad, der als Sohn eines Imams in Ägypten über den Koran sozialisiert wurde, bevor er, wie er es ausdrückt, „zum Wissen konvertierte“. Mit 23 Jahren war er 1995 nach Deutschland gekommen und hatte sich erst nach und nach aus den Fängen religiöser Orthodoxie befreit. Damit eckt er in Deutschland auch bei konservativen Islamverstehern und -verbänden an.
Er habe nichts gegen das Kopftuch, antwortet er einer jungen Muslimin, die im Gorki-Theater versucht, ihm das Gegenteil zu unterstellen. Doch das Kopftuchtragen müsse die freie und individuelle Entscheidung einer Frau sein, nicht das Resultat von Zwang. Die schicke Muslimin im Gorki trägt Kopftuch und beansprucht für „die“ Muslime in Deutschland zu sprechen. Abdel-Samed erwidert routiniert, von welcher Organisation sie denn komme und warum sie behaupte, für „die“ Muslime sprechen zu können.
Die große Gemeinschaft der Islamversteher hätte es gern, dass nur sie über das Verhältnis von Religion und Politik sprechen darf. Aber genau das ist das Problem: Die Heilige Schrift ist nicht geeignet, wie Abdel-Samad betont, um mit ihr juristisch-politische Debatten über die mögliche Verfasstheit heutiger Gesellschaften zu führen. Nicht hier und nicht in Ägypten.
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat