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ALLES SEHR BEWEGT

■ „Eberhard Roters zu Ehren“ in der Berlinischen Galerie

Walter Stöhrer

Plattgewalzte Teighasen, die Zähne bleckende Kopffüßler, Fische, die sich das Maul an der Aquariumswand breitdrücken. Punkte inmitten von Kreisen und Ovalen: das können Augen sein, Brüste, Ohren, Münder, Fuß- oder Fingernägel. Die Grimassen und Figurationen in den Bildern Stöhrers spiegeln ein ungestümes, undiszipliniertes Bedürfnis zu zeichnen und zu erzählen, eine Potenzierung der Graffitis. Breiige, zerfließende Konturen können die sich schon wieder verflüchtigenden Gestalten gerade nur für einen Augenblick zusammenhalten. Seit Dubuffets L'art brut zehrt die Malerei gelegentlich vom Potential an ungezähmter Wildheit der zeichnerischen Zeugnisse von Kindern und Geisteskranken, und auch Stöhrer braucht deren Authentizität verheißende Formen in seinen Kompositionen des Zufälligen.

An die Ränder gequetscht, in Wellen hochgespült, in Wirbeln gezwirbelt werden die Fratzen und Dämonen von einer aufrührerischen Materie, die sich in den mit großen Gesten aufgetragenen Farben artikuliert. Die Dynamik des Wischens, des weit Ausholens, des Stürzens und Fallens, des Schwindelns und Tobens, dirigiert ihre Ströme über die Leinwand, und fast scheint es ein Wunder, daß ihre Kraft die Bilder nicht umkippt und von Nägeln und Wänden reißt. Keine Verläßlichkeit ist mehr auf die Schwerkraft, der Betrachter wird in Farbstrudel hineinkatapultiert und in einen Höhenrausch gestürzt, in dem seine Orientierung verlorengeht.

Etwas kämpft in Stöhrers Bildern um sein In-Erscheinung -treten. Der Moment, in dem der Vorhang reißt und das Chaos hinter der nur chimärenhaft aufprojizierten Ordnung sichtbar wird; die Sekunde der Erkenntnis vor dem epileptischen Anfall; der Blitz, in dessen Licht eine verdrängte Realität aufleuchtet - diese Erlebnisse beschwört Stöhrer in seinen Bildern.

Wieviel Stöhrer auf einmal ist zu verkraften? Seine Bilder sind nicht in beliebiger Menge konsumierbar, der Gang durch die Ausstellung wird schließlich zu einem Rausch, Differenzierung ist bald kaum noch möglich. Die Berlinische Galerie hat mit über hundert Bildern und Zeichnungen, die den Schwerpunkt auf Stöhrers Arbeiten in den siebziger und achtziger Jahren legen, einen Farbrausch entfesselt, einen Kraftakt inszeniert, der den Betrachter in die Knie zwingt. Den Maler Walter Stöhrer gemeinsam mit dem Bildhauer Szymanski auszustellen, geht noch auf einen Plan von Eberhard Roters zurück, dem Gründer und ehemaligen Direktor der Berlinischen Galerie, die damit nun Roters zu seinem sechzigsten Geburtstag ehrt.

Stöhrers Farbmächtigkeit durch Wortgewalten zu begegnen, ist eine heftige Verführung. Das Vokabular des Dynamischen wird auch im Stöhrer-Katalog in die Inflation getrieben. Man möchte das Ereignis auf der Leinwand, das gerade von der Halluzination eines kurzen und unwiederholbaren Momentes lebt, in der Sprache umzingeln, festschreiben. Schöpfungsmythen fließen in das dramatische Vokabular zur Beschreibung der Bildereignisse ein, Dionysisches wird in den Gesten des Malers entdeckt. Schließlich wird die phallische Energie, die sich wieder mal aufbäumt, als treibende Kraft umzingelt. Es „sprießt“ und „stößt“, es „brandet“ und „spritzt“, es „trübt“ und „entzündet sich“, es „drängt“ und „schwebt“, bis Maler und der den Betrachter mimende Kunsthistoriker sich in der hitzigen Erregung vereinen.

Doch der Impulsivität und Spontaneität der Bildereignisse haftet etwas von der Euphorie psychodynamischer Gruppenprozesse der siebziger Jahre an. Wer reißt seine Seele, wer seinen Leib am weitesten auf. Nicht dunkel, schleimig und häßlich genug können die Tiefen sein, die man mit geradezu sportivem Ehrgeiz durchqueren muß. Die Demonstration andauernder Erregung wird zu einem mitunter recht pathetischen Beweis der eigenen Individualität und Vitalität, dessen Notwendigkeit sich aus der Angst des spurenlosen Verschwindens, des Untergehens in der Anonymität speist.

Rolf Szymanski

Zwischen den großen Skulpturen Rolf Szymanskis im Lichthof der Berlinischen Galerie erinnere ich mich auf einmal an den Pergamonfries auf der Museumsinsel in Ost-Berlin. Dort muß ich vor dem fragmentarischen Gewühl der kämpfenden Tier- und Menschenleiber jedesmal eine Weile über die jeweilige Zusammengehörigkeit der Gliedmaßen rätseln, die die Zerstörungen überdauert haben. Ein ähnlicher Drang, die Verheerungen der Gewalt in der Einbildung zu überwinden und die Figuren wieder heil zusammenzusetzen, beschäftigte mich als Kind vor Picassos „Guernica“. Was am Pergamonfries, der heroischen Darstellung eines Krieges, die Zeit verrichtet hatte, potenzierte Picasso in seinem Bild als Wesen des Krieges: eine nicht wieder rückgängig zu machende Zersprengung und Zerstörung.

Von ihnen angetaner Gewalt erzählen auch die Skulpturen Rolf Szymanskis. Er formt sie an einer Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, die ihnen einen narrativen und assoziativen Charakter erhält, ohne in den Formeln klassizistischer Bildhauersprache zu erstarren. Hermetisch abgeschlossene und glatt polierte voluminöse Formen verschränken sich mit rauhen, geöffneten, gebrochenen und ruinösen Formen, die den Einblick in Verletzungen suggerieren. Die Drehungen und Anspannungen, ein Ziehen und Gebogenwerden der Skulpturen scheint aus ihrem Widerstand gegen äußere Eingriffe und Gewalten hervorzugehen. In seinen Plastiken bleibt Szymanski der Tradition treu, die Frau als Personifikation des Leidens zu begreifen, an ihr die Essenz menschlicher Tragik zu artikulieren, ohne nach den Gründen ihrer vorgeblichen Prädestination für die Zerstörung zu fragen, ohne die sich reproduzierende Festschreibung der Verbindung Frau und Gewalt aufzubrechen.

Das immer gleichbleibende Licht in der Halle der Berlinischen Galerie scheint seinen großen Plastiken nicht zu bekommen, die damit verraten, für Außen- und nicht für Innenräume gemacht zu sein. Um ihre Differenziertheit und inneren Spannungen zu erfahren, brauchen sie den lebendigen Wechsel des Tageslichts, das ihre verschiedenen Zonen streift, in ihre geheimnisvollen Innenräume eintaucht oder sie allmählich dem Schatten überläßt. Das Kunstlicht dagegen stellt sie gleichsam ruhig wie die Spritze einen rebellierenden Kranken.

Anrührend dagegen bleiben seine kleinen Skulpturen, die sich allein durch ihre Dimensionen gleichsam dem Schutz behütender Hände unterstellen. In ihrer Betrachtung umgibt man sie mit einer imaginären Glocke, einen nur ihnen gehörenden Raum. Gerade in ihrer Bedürftigkeit und Verletzbarkeit erweisen sie ihre Autonomie.

Katrin Bettina Müller

Walter Stöhrer, Bilder 1961-1988.

Rolf Szymanski, Plastiken und Zeichnungen 1956-1988.

Beide: Berlinische Galerie, bis 16. April.

Rolf Szymanski

Zwischen den großen Skulpturen Rolf Szymanskis im Lichthof der Berlinischen Galerie erinnere ich mich auf einmal an den Pergamonfries auf der Museumsinsel in Ost-Berlin. Dort muß ich vor dem fragmentarischen Gewühl der kämpfenden Tier- und Menschenleiber jedesmal eine Weile über die jeweilige Zusammengehörigkeit der Gliedmaßen rätseln, die die Zerstörungen überdauert haben. Ein ähnlicher Drang, die Verheerungen der Gewalt in der Einbildung zu überwinden und die Figuren wieder heil zusammenzusetzen, beschäftigte mich als Kind vor Picassos „Guernica“. Was am Pergamonfries, der heroischen Darstellung eines Krieges, die Zeit verrichtet hatte, potenzierte Picasso in seinem Bild als Wesen des Krieges: eine nicht wieder rückgängig zu machende Zersprengung und Zerstörung.

Von ihnen angetaner Gewalt erzählen auch die Skulpturen Rolf Szymanskis. Er formt sie an einer Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, die ihnen einen narrativen und assoziativen Charakter erhält, ohne in den Formeln klassizistischer Bildhauersprache zu erstarren. Hermetisch abgeschlossene und glatt polierte voluminöse Formen verschränken sich mit rauhen, geöffneten, gebrochenen und ruinösen Formen, die den Einblick in Verletzungen suggerieren. Die Drehungen und Anspannungen, ein Ziehen und Gebogenwerden der Skulpturen scheint aus ihrem Widerstand gegen äußere Eingriffe und Gewalten hervorzugehen. In seinen Plastiken bleibt Szymanski der Tradition treu, die Frau als Personifikation des Leidens zu begreifen, an ihr die Essenz menschlicher Tragik zu artikulieren, ohne nach den Gründen ihrer vorgeblichen Prädestination für die Zerstörung zu fragen, ohne die sich reproduzierende Festschreibung der Verbindung Frau und Gewalt aufzubrechen.

Das immer gleichbleibende Licht in der Halle der Berlinischen Galerie scheint seinen großen Plastiken nicht zu bekommen, die damit verraten, für Außen- und nicht für Innenräume gemacht zu sein. Um ihre Differenziertheit und inneren Spannungen zu erfahren, brauchen sie den lebendigen Wechsel des Tageslichts, das ihre verschiedenen Zonen streift, in ihre geheimnisvollen Innenräume eintaucht oder sie allmählich dem Schatten überläßt. Das Kunstlicht dagegen stellt sie gleichsam ruhig wie die Spritze einen rebellierenden Kranken.

Anrührend dagegen bleiben seine kleinen Skulpturen, die sich allein durch ihre Dimensionen gleichsam dem Schutz behütender Hände unterstellen. In ihrer Betrachtung umgibt man sie mit einer imaginären Glocke, einen nur ihnen gehörenden Raum. Gerade in ihrer Bedürftigkeit und Verletzbarkeit erweisen sie ihre Autonomie.

Katrin Bettina Müller

Walter Stöhrer, Bilder 1961-1988.

Rolf Szymanski, Plastiken und Zeichnungen 1956-1988.

Beide: Berlinische Galerie, bis 16. April.

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