piwik no script img

AKW–Techniker: Stade ist Pfusch

„Nein“, sagte er, öffentlich auftreten wolle er noch nicht. Noch könne er in allen AKWs der Bundesrepublik ein– und ausgehen, und auf diese Möglichkeit wolle er nicht verzichten. Ich mußte ihm versichern, über seine Identität nicht mehr zu sagen als: Mitte 40, ein Techniker von Kindesbeinen an, der sein ganzes Leben mit Geräten, Formeln, Materialeigen schaften lebt. In den AKWs nicht nur der BRD ist er gut herumgekommen. Auf dem Dachboden seines kleinen Einfamilienhauses hat er sein Lebenswerk gestapelt, seit 20 Jahren stellt er in hochsensiblen Sicherheitsbereichen Notstrom–Aggregate auf. Zurückgelehnt in den Sessel zählt er die Liste aller AKWs in der Bundesrepublik auf - in chronologischer Rei henfolge, er kenne sie alle, uns wird beim Zuhören ganz merkwürdig zumute. Ein Horrorkabinett. Er hat die Sicherheitsphilosophie lange Jahre ganz ernst genommen. Jedes technische Detail im Sicherheits–System AKW beruht letztendlich auf einem ausgewerteten Unfall oder „Störfall“. Die Reaktorsicherheitskommission hat Verbindungen in alle AKWs der Welt, sehr intime - bis in die innersten Kreise. Und wenn irgendwo was passiert, erfährt sie das sofort. Manchmal ist sie schon 12 Stunden nach dem Störfall am Ort des Geschehens und wertet die Sache aus. So soll eigentlich die Sicherheit der deutschen Anlagen ständig „nachgerüstet“ werden. Immer wieder stehe sie vor dem Problem, daß dieses Wissen wirtschaftlich nicht umgesetzt werden kann. Technisch - wenn das im heißen Bereich wäre, oder von den Gebäuden und von der gesamten Maschinenanlage her nicht möglich ist, weil technische Lösungen gar nicht existieren. Oder weil es wirtschaftlich nicht zu machen wäre. Zum Beispiel Stade Das AKW Stade hätte nach dieser Sicherheitsphilosophie längst abgeschaltet sein müssen. In einem amerikanischen AKW z.B. ist einmal ein Kabelkanal ausgebrannt, weil ein glimmender Lappen bei Schweißarbeiten hineingerutscht war. Danach wurde festgelegt: Alle Kabelkanäle müssen voneinander getrennt werden, keine Einrichtung darf die anderen in Mitleidenschaft ziehen können, wenn sie zerstört werden sollte. In Stade sind die Kabelka näle nicht getrennt, weil das riesige Umbauten erfordern würde. Genausowenig sind die Schaltanlagen der Notstromversorgung voneinander getrennt, sie stehen seit 1972 in einer langen Reihe nebeneinander. Die Reaktorsicherheitskommission ist irgendwann darauf gekommen, daß die Gefahr eines Flugzeugabsturzes auf Notstromgebäude besteht. Daraufhin wurde festgelegt, die Diesel müssen entweder verbunkert sein, oder man muß sie in mehreren verschieden Gebäuden so unterbringen, daß abstürzende Flugzeugteile sie nicht zerschlagen können. In Stade sind alle Notstromdiesel in einem Gebäude drin, und zwischen den Dieseln ist nur eine dünne Wand. In den Sicherheitsrichtlinien sind vier Notstromaggregate vorgesehen, die Stader haben nur drei. Augenzwinkernd haben ihm Techniker gesagt, man habe ja im Falle eines Falles nebenan den Diesel des stillgelegten Öl–Kraftwerks Schilling. Dieses alte Notstromaggregat entspricht nun aber überhaupt nicht den TÜV–Richtlinien. Die Notstromdiesel müssen in 10, 14 Sekunden die volle Leistung bringen, sind also gewaltigen Vibrationen ausgesetzt. Wenn die Teile nicht völlig perfekt gebaut sind, können sie auseinanderfliegen. In Brunsbüttel ist das so passiert. Daraufhin hat die Reaktorschutzkommission penible Richtlinien für alle Bauteile entwickelt, zum Beispiel werde die Produktion der Zylinderkopfschrauben vom TÜV begleitet und protokolliert - von der Stahlcharge über die Strangußpresse bis zur Dreherei. Von einer derart kontrollierten Produktion könne bei dem alten Diesel überhaupt keine Rede sein, braucht ja auch nicht, denn wenn der im Ölkraftwerk ausfällt, dann sitzt Stade für zehn Minuten im Dunkeln - wenn der jetzt aber bei einem Störfall versagt.... Das ist den Betreibern von Stade bekannt. Sie sind dabei, ein neues Notstromaggregat zu bauen, außerhalb des Sicherheitsbereiches. Es dauert aber noch ein Jahr, bis das fertig ist. Aber in diesem Jahr werde das Kraftwerk außerhalb der TÜV–Richtlinien so betrieben. Am Ende unseres Gesprächs wollte ich von ihm wissen, für wie risikoreich er es hält, daß der Reaktordruckbehälter trotz seiner Versprödung mit einem „Schonprogramm“ bis ins Jahr 2010 über die Runden gebracht werden soll. Seine Antwort war trocken: „Pfusch und Täuschung der Öffentlichkeit“. Er habe die Anzeigen aber gesehen, nach denen der Reaktor mit 630 Megawatt gefahren wurde, also volle Leistung. Es gebe übrigens ein identisches AKW in Argentinien, in Atucha. Wurde irgendwann etwas bekannt von „Nachrüstungen“ dort, die auch nur annähernd den Anforderungen westdeutscher Standards entsprechen könnten? Konsequent gedacht müsse jedes AKW, das einige Jahre alt ist, abgeschaltet werden - was wirtschaftlich absurd ist. Je mehr Betriebsstunden, je mehr AKWs, desto umfangreicher das Wissen, welchen Weg der Super–Gau nehmen wird. Und der passiert, davon ist er überzeugt, es sei nur eine Frage der Zeit. Robert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen