: AKW Biblis A läuft mit fauler Genehmigung
■ Fehlender Nachweis der Erdbebensicherheit wurde schon 1981 von Beamten moniert / Zwei FDP-Minister hielten munter den Deckel drauf
Frankfurt/Main (taz) – „Bei dem Genehmigungsverfahren Biblis A wurde die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Anlage erteilt, obwohl bezüglich Erdbeben notwendige Nachweise nicht geführt wurden, die vor der Erteilung der Genehmigung hätten erbracht und überprüft werden müssen.“ Das ist der Kernsatz einer Expertise der Atomabteilung des hessischen Wirtschaftsministeriums aus dem Jahre 1981 – angefertigt für Minister Klaus Hoffie (FDP) und seinen Staatssekretär. Und die Experten aus der Atomabteilung machten ihrem Minister seinerzeit unmißverständlich klar, daß die Erdbebensicherheit eine „Genehmigungsvoraussetzung“ für die Inbetriebnahme von Biblis A hätte sein müssen, der Nachweis deshalb „nachgeholt“ werden müsse: „Ein Verzicht auf die Nachholung erscheint nicht pflichtgemäß.“ Das Ministerium, so heißt es in der der taz vorliegenden Expertise, sei nämlich seinerzeit „bundesaufsichtlich angewiesen“ worden, diese Nachweise (bezüglich Erdbebensicherheit) vollständig erbringen zu lassen und der Bundesaufsicht vor der Betriebsgenehmigung vorzulegen.
Auf das Fehlen einer entscheidenden Genehmigungsvoraussetzung für Biblis A sind die Experten aus der Atomabteilung bei der Überprüfung der Genehmigungsvoraussetzungen für den unter Hoffie geplanten Bau von Biblis C gestoßen. Bei der Arbeit an der durch den avisierten dritten Reaktor notwendig gewordenen sogenannten Mehrblockrisiko-Studie „entdeckten“ die Fachleute der Atomabteilung die Genehmigungslücke bei Biblis A. Warum bei dem 1975 in Betrieb gegangenen Reaktor Biblis A auf die auch von der Bundesaufsicht verlangte Genehmigungsvoraussetzung der Erdbebensicherheit von der Genehmigungsbehörde (Land Hessen) verzichtet wurde, vermochten die Experten des Jahres 1981 allerdings nicht zu recherchieren: „Der Verzicht auf die Führung der Nachweise durch die hiesige Genehmigungsbehörde läßt sich für uns mangels Kontinuität in den Akten nicht mehr daraufhin nachvollziehen, welches die zugrundeliegenden Überlegungen gewesen sind.“ Fest steht, daß Biblis A unter dem hessischen Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry (FDP) genehmigt wurde. Und daß in Bonn der Wirtschaftsminister der sozialliberalen Koalition, Hans Friderichs (FDP), offenbar stillschweigend nicht mehr auf der zuvor angeordneten „vollständigen Erbringung“ der Genehmigungsnachweise für Biblis A bestand. Daß Genehmigungsminister Hoffie sechs Jahre später die Expertise seiner Atomexperten stillschweigend in der Schreibtischschublade verschwinden ließ, versteht sich. Die Arbeit an der Mehrblockrisiko-Studie war kurz darauf obsolet geworden, weil sich die hessische SPD unter Holger Börner unter dem (Ein-)Druck der Verhältnisse nach den Auseinandersetzungen um die Startbahn West gegen den Bau von Block C in Biblis entschied.
Aber auch keiner von Hoffies Nachfolgern im Amt hat die Expertise aus der Ministerschublade geholt – nicht einmal der seit 1991 auch für die Atomaufsicht zuständige grüne Minister Joschka Fischer. In einer zweiten, vom damaligen Leiter der Atomabteilung, Ulrich Thurmann, unterschriebenen Expertise aus dem Jahre 1981 richteten die Experten auch schwere Vorwürfe an die Adresse des TÜV Bayern. Dessen Aussagen zur angeblichen Erdbebensicherheit von Biblis A beruhten „rein auf Analogieschlüssen“. Der TÜV Bayern, so Thurmann, habe sich bei seinen Expertisen lediglich auf „Rütteltischversuche“ nach dem Modell eines anderen AKWs bezogen.
Für ein sicheres Abkühlen und langfristiges Nachkühlen von Biblis A müßten die Systeme vom Antragsteller RWE aber zumindest „unter Erdbebengesichtspunkten nachgerechnet und diese Rechnungen von einem Gutachter überprüft werden“. Seit den Expertisen von Thurmann und anderer Experten aus der Atomabteilung sind knapp 13 Jahre vergangen. Und Biblis A läuft und läuft... ohne Erdbebensicherung – getestet durch „Rütteltischversuche“. Klaus-Peter Klingelschmitt
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