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A propos Vigo

■ Zeitgenössisches und französische Kurzfilmklassiker auf N3

Ein französischer Abend in der Nordkette: Zuerst verschlägt es uns nach Courneuve, einer Schlafstadt im Norden von Paris. Diebstahl, Drogenhandel, Prostitution, Rassismus und Schlägereien zwischen Jugendbanden sind dort alltägliche Begleiterscheinungen eines Lebens, das von Arbeitslosigkeit geprägt ist. Mehdi Charef erzählt uns in seinem vielgelobten Debutfilm Tee im Harem des Archimedes um 21.00 Uhr die Geschichte der zwei Halbwüchsigen Pat und Madjid, die auf der Straße herumlungern und ihren Frust abreagieren. Charef, ein in Frankreich geborener Sohn algerischer Einwanderer, hat das Leben in La Courneuve am eigenen Leibe erfahren. Als Fabrikarbeiter schrieb er darüber einen Roman, der den Regisseur Costa-Gavras so beeindruckte, daß er Charef bei der Realisierung eines Drehbuches und später bei der Inszenierung des Filmes zur Seite stand.

Wenn wir Mehdi Charefs bitter-süßen Tee ausgeschlürft haben, können wir uns getrost dem klassischen Aperetif des französischen Kinos zuwenden. Kurz vor Mitternacht sendet der NDR zwei Kurzfilme des Regisseurs Jean Vigo, einem wichtigen Vertreter des „poetischen Realismus“. Seine Filme markieren den Übergang von der Avantgarde im französischen Stummfilm zum kritischen Realismus der dreißiger Jahre.

Taris, roi de l'eau (23.30 Uhr), zehn Minuten kurz, ist ein wunderbarer kleiner Film über den Schwimm-Champion Jean Taris. 1931 als Auftragsproduktion entstanden, sollte der Beitrag am Anfang einer ganzen Serie von Sportler-Porträts stehen, die jedoch nie realisiert wurden. Der Film entstand unter dem Einfluß des Russen Dziga Vertow, dessen Bruder Boris Kaufmann Vigos Kameramann wurde.

Der zweite Kurzfilm widmet sich zehn Minuten lang den Casinos, Friedhöfen und Boulevards des mondänen Badeortes Nizza: A propos de Nice (23.40 Uhr) war Jean Vigos erste eigene filmische Arbeit. In einer satirischen Montage zeigt Vigo in einer Mischung aus surrealen Elementen und sozialem Engagement ein Nizza des Müßiggangs und des Stumpfsinns der Bourgeoisie. 1930 bei der Vorführung des Films im Pariser Theatre Vieux Colombier kommentierte er: „In diesem Film wohnt man durch bewußte Verwandlung einer Stadt und deren Sinn und Selbstverständnis dem Prozeß einer bestimmten Welt bei... Es sind die letzten Zuckungen einer Gesellschaft, die sich soweit vergißt, daß einem speiübel wird und man zum Komplizen einer revolutionären Lösung wird.“

Jean Vigo, 1905 in Paris geboren, Sohn des Journalisten und Anarchisten Almereyda, der 1918 unter ungeklärten Umständen im Gefängnis starb, wuchs unter falschen Namen bei Freunden des Vaters auf. 1925 begann er in Paris Philosophie zu studieren und lernte dabei Claude Autant-Lara und Germaine Dulac kennen, durch die er mit dem Film in Berührung kam. Wegen einer Tuberkulose ließ er sich in Nizza nieder, wo er später den Dokumentarfilm A propos de Nice drehte. Es folgte ein weiterer Kurzfilm, die Arbeit über den Schwimmer Taris. Sein erster Spielfilm Z'ero de Conduite, eine Attacke gegen die bürgerlichen Erziehungsmethoden in einem Internat, wurde sofort von den Zensurbehörden veboten. Mit L'Atalante, seinem zweiten Spielfilm, schuf Vigo ein poetisches Meisterwerk und gleichzeitig sein letztes Vermächtnis. Kurz nach Fertigstellung des Films starb Vigo an den Folgen seines Lungenleidens. Mit 29 Jahren hinterließ er nur vier Filme - ein schmales, aber hinreißend leidenschaftliches Oeuvre, das ihm einen Platz in der Filmgeschichte gesichert hat. Utho

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