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90.000 polnische Kohlekumpel müssen gehen

■ Reformprogramm der Regierung soll die Kohlegruben wieder rentabel machen

Warschau (dpa) – Zum Tag der Arbeit hat sich Polens Regierung dieses Jahr ein wahres Horrorstück einfallen lassen. Sie will 20 von heute 59 Kohlegruben des Landes schließen und damit 80.000 bis 90.000 Arbeitsplätze im Bergbau streichen. Nach dem Sanierungsplan, den die Regierung am Dienstag vekündete, soll die Branche ihre heute auf acht Milliarden Zloty (4,5 Milliarden Mark) geschätzten Schulden abbauen und die Kohlenförderung um 20 Millionen Tonnen auf etwa 110 Millionen Jahrestonnen reduzieren. 1998 sollen die Gruben wieder rentabel arbeiten, die Produktivität soll um 30 Prozent steigen.

Die Gewerkschaft Solidarität ist schockiert und fordert einen „Dialog über die Zukunft des oberschlesischen Industriegebietes“. sollen. Marek Kempski, der Chef der oberschlesischen Solidarität, warnt vor der Entstehung einer aggressiven „Unterklasse“. Nach Meinung der Regierung gibt es jedoch vor allem harte Zahlen zu besprechen. Die Gruben, die lange Jahre zu den Musterbetrieben der polnischen Planwirtschaft gehörten, schreiben seit 1990, dem Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen, fast nur noch Verluste in die Bücher. Obwohl die Steinkohle immer noch zwei Drittel des Energiebedarfs Polens deckt, steckt der Bergbau in der schwersten Krise seit Kriegsende. Das Geld reicht noch nicht einmal, um die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Die Bergleute müssen um ihre Arbeitsplätze zittern. Einst bildeten sie die Elite des Systems. In den Spitzenjahren förderten sie bis zu 200 Millionen Tonnen Kohle. Sie verdienten zwei- bis dreimal so viel wie ein Durchschnittsbürger, kauften in speziellen Läden ein und erholten sich in eigenen Ferienheimen.

Alle bisherigen Sanierungskonzepte waren an der Unentschlossenheit früherer Regierungen gescheitert. „Dieses Programm unterscheidet sich dadurch von allen früheren, daß es in jedem Fall durchgeführt werden muß“, droht Vizeindustrieminister Jerzy Markowski. Es werde jedoch keine Massenentlassungen geben. Ältere Arbeiter sollten auf „sozialverträgliche Weise“ ausscheiden, meint Markowski, der auch Abfindungen aus der Staatskasse versprach.

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