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Archiv-Artikel

900 Seiten, enträtselt und hörbar gemacht

INTERVIEW Der Hörspielmacher Karl Bruckmaier hat Elfriede Jelineks Roman „Neid“ inszeniert

Karl Bruckmaier

■ geboren 1956 in Niederbayern, hat Kommunikationswissenschaften und Politik studiert. Er arbeitet als Pop-Kritiker und für den Bayerischen Rundfunk als Radio-DJ und Hörspielmacher. Er wurde bereits mehrmals mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.

taz: Herr Bruckmaier, heute sendet der BR einen weiteren Teil des Hörspielgroßprojekts „Neid“ von Elfriede Jelinek. Es ist Ihre vierte Arbeit zum Werk der Nobelpreisträgerin. Woher kommt die große Affinität?

Karl Bruckmaier: Ich habe schlicht ein Faible für Jelineks Texte und einen guten Zugang zu der Art, wie sie schreibt. Mittlerweile habe ich ein Gespür dafür entwickelt,wie sich ihre komplexen Stoffe akustisch schlüssig umsetzen lassen. Bei „Neid“ war das wegen des medialen Rahmens besonders spannend. Denn Jelinek hat den Roman ausschließlich im Internet veröffentlicht – gedruckt wären das rund 900 Seiten. Trotz hoher Aufrufzahlen ist es eigentlich ein Roman ohne Leser geblieben, die meisten steigen wohl nach den ersten drei Kapiteln aus. Hinzu kam ein geringes Interesse von Seiten der Literaturkritik. Unser Skript entspricht etwa einem Drittel des Originals.

Jelinek hat den Text als „Privatroman“ eingestuft. Was bedeutet der Begriff und wie haben Sie ihn umgesetzt?

Dahinter steckt ein Kunstgriff, den man auch aus synkretistischen Religionen kennt: das Private im Öffentlichen verstecken. Jelinek verhandelt eine ungeheure Fülle von Themen, die bei ihr erwartbar sind. Es geht beispielsweise um den Geschlechterkampf, Tourismus oder die Stadt und letztlich auch um die Möglichkeiten, die das Schreiben selbst bietet. All das ist aber eine Vernebelungsstrategie, die Intimes versteckt, wenn nicht gar eine Lebensbeichte. Diese Struktur sollte im Hörspiel erhalten bleiben. Es ging darum, nicht nur zu erzählen, sondern auch Material anzuhäufen, das Stück für Stück und mit hoher Intensität Persönliches preisgibt.

Auch wenn man in „Neid“ zahlreiche männliche und weibliche Stimmen heraushören mag, kommt mit Sophie Rois ausschließlich eine Schauspielerin in der Produktion zu Wort. Ein Wagnis?

Nein, das war eine bewusste Entscheidung. Mit Sophie Rois geht man kein Wagnis ein. Wir haben im Studio vielseitig mikrofoniert, um später die verschiedenen Aspekte der sprechenden Persönlichkeiten erkennbar machen zu können. Wenn es uns gelungen ist, die Rätsel des Romans aufzulösen und hörbar zu machen, ist dies alleinig Sophies Verdienst.

Das Hörspiel ist auch komplett im Netz per Download verfügbar. Welche Möglichkeiten bietet das Internet dem Radio und seinen Formaten?

Im Fall von „Neid“ führt das Hörspiel nun – insbesondere unter formal-ästhetischen Gesichtspunkten – ein Parallelleben im Netz. Die Produktion ist dauerhaft abrufbar – wie ihre Textvorlage. Das hat auch ganz praktische Vorteile. Das Radio war früher an den Moment gebunden. Gerade komplexen Arbeiten musste sich der Hörer daher häufig terminlich beugen oder eben mitschneiden. Dank der universellen Verfügbarkeit als Download fällt dieses Diktat weg. Einem Programmangebot, das sonst eher über eine kleine Klientel verfügt, kann das nur gut tun. Langfristig wird so – auch durch die kostenlose Nutzung – die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Radios gesichert.

Sie arbeiten auch als Musikjournalist und Radio-DJ, gibt es da eine Schnittmenge zur Tätigkeit als Regisseur?

Ich habe Ende der 70er beim Jugendfunk im BR angefangen. Wir wollten damals ein neues künstlerisches Radio erfinden und waren an allem interessiert, was jenseits des Etablierten lag, ob nun Punk oder William Burroughs oder John Cage. Damals ging es uns nicht um Gattungsbegriffe, sondern um Inhalte und den offenen kreativen Umgang damit. Seitdem fließen meine Arbeitsformen ständig ineinander.