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80.000 gedenken an Luxemburg und Liebknecht

■ Demonstration zum 75. Todestag der KPD-Mitbegründer in Friedrichsfelde

Der Osten ist für manche Überraschung gut. Trotz des naßkalten Wetters gedachten gestern Zehntausende des 75. Todestages der KPD-Mitbegründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Prominentester Teilnahmer war Egon Krenz, nach der Wende Honeckers Nachfolger als DDR- Staats- und Parteichef. Von dem Ansturm auf die „Gedenkstätte der Sozialisten“ in Lichtenberg, die bis 1989 von der SED alljährlich im Januar für „Kampfdemonstrationen“ genutzt worden war, zeigte sich selbst die Polizei erstaunt. Mit rund 80.000 Personen sei die Zahl doppelt so hoch gewesen wie im Vorjahr, versicherte ein Sprecher. Flankiert von den Ständen der PDS und zahlreicher kommunistischer Kleinstparteien, zogen viele Menschen mit Blumen auf den Zentralfriedhof Friedrichsfelde. Schon gegen Mittag waren nicht nur die Platten der am 15. Januar 1919 von rechten Freikorps ermordeten Sozialisten Luxemburg und Liebknecht bedeckt, auch die Gräber von SED-Größen wie Walter Ulbricht oder Otto Grotewohl schmückten rote Nelken – das Mahnmal war nach der Zerstörung durch die Nazis 1951 auf Geheiß der Staatspartei als Ehrenhain wiedererrichtet worden.

Bis zur Ankunft eines Demonstrationszuges vom Platz der Vereinten Nationen – zu dem unter anderen die PDS und die Jusos aufgerufen hatten – glich die Szenerie vor dem Friedhof eher einem großen Bekanntentreffen als einer politischen Kundgebung: Ganze Familien waren gekommen, wie etwa jener 29jährige Arzt aus Treptow mitsamt Frau und zwei Kindern, der die Ideen von Liebknecht und Luxemburg „sympathisch“ fand. Deutlich in der Überzahl blieben gestern die älteren Jahrgänge, von denen viele mit dem Spazierstock in der einen und Blumen in der anderen Hand das Gelände aufsuchten. Eine 73jährige Rentnerin aus Treptow kam trotz „aller negativen Dinge, die bei uns in der DDR passiert sind“, um der ehemaligen KZ-Häftlinge zu gedenken, mit denen sie nach dem Krieg an einem wissenschaftlichen Institut zusammengearbeitet hatte. Eine 63jährige Frau aus Prenzlauer Berg, mit ihrem 72jähriger Cousin („Ich habe den Rußlandfeldzug mitgemacht und mir nach '45 gesagt, daß das sich nicht wiederholen darf“), erinnerte sich ihres Vaters, der während der NS-Zeit über zwei Jahre in Haft war.

Die Meinung eines 21jährigen Arbeitslosen aus Köpenick, der schon zu DDR-Zeiten an der Demonstration teilgenommmen und gestern gegen „das herrschende System“ protestierte, blieb an diesem Sonntag die Ausnahme. Spätestens als der Parteivorsitzende der MLPD von einem Wagen herunter gegen den „Revisionismus“ wetterte, drehten viele Teilnehmer ab und erfreuten sich statt dessen lieber an einem Glühwein. Severin Weiland

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