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500 Jahre Vertreibung aus dem Sefarad

Berlin (taz) — Den massiven Schlüssel übergeben traditionsliebende jüdische Mütter immer noch an ihre älteste Tochter. Doch aus dem dazugehörigen Haus sind die Vorfahren schon im ausgehenden Mittelalter verjagt worden. Das Haus, und zugleich der Magnet der Sehnsüchte, liegt in Toledo, Córdoba oder Sevilla — im „Sefarad“, wie „Spanien“ auf hebräisch heißt. Vor 500 Jahren unterzeichneten dort die von dem gerade errungenen Kriegserfolg gegen die Mauren noch ganz benommenen katholischen Könige Ferdinand und Isabella das „Juden-Edikt“. Es gab den rund eine halbe Million Juden in Spanien exakt vier Monate Zeit, das Land zu verlassen oder zum Christentum überzutreten. Ihren Besitz an Waffen und Gold mußten sie an die Behörden der katholischen Könige ausliefern. Wer sich widersetzte, wurde hingerichtet.

Das Edikt vom 31. März 1492 war das Ende der damals größten jüdischen Gemeinde Europas. 100.000 bis 200.000 Menschen verließen Spanien. Sie flohen in alle Himmelsrichtungen. Rund um das Mittelmeer gründeten sie neue Gemeinden — die größten davon in Nordafrika, im heutigen Italien, der Türkei und Griechenland. Längs der europäischen Atlantikküste ließen sich sefardische Flüchtlinge an Orten wie Antwerpen, Amsterdam und Hamburg nieder. Und auch bei den ersten europäischen Niederlassungen in der „Neuen Welt“ waren Sefarden beteiligt. Spanien versank nach der Vertreibung der Juden in der „Heiligen Inquisition“, die das Land mit Intoleranz, intellektueller Verarmung und Terror überzog. Betroffen waren auch die Juden, die konvertiert und in ihrem Heimatland geblieben waren. Wegen „Gotteslästerungen“ wie „Hostienschändung“ und „Christuskind-Morden“ ließ die Heilige Inquisition viele von ihnen ermorden.

Zum 500. Jahrestag des Ediktes reiste jetzt erstmals ein israelisches Staatsoberhaupt nach Spanien, zu dem Israel erst 1986 diplomatische Beziehungen anknüpfte. Zusammen mit König Juan Carlos und Königin Sofia, den Erben von Ferdinand und Isabella, besuchte Staatspräsident Chaim Herzog die Gedenkveranstaltung. Rechtzeitig zu dem Besuch gab Madrid sein Placet zu einem israelisch-spanischen Kooperationsabkommen. Aber den Wunsch Jerusalems nach einer förmlichen Widerrufung des „Juden-Ediktes“ und einer Bußreise von König Juan Carlos nach Israel erfüllte Spanien nicht.

Neben der Schlüsselübergabe haben sich auch der kastilische Dialekt und der Traum von einem untergegangenen „goldenen Zeitalter“, in dem Moslems, Christen und Juden tolerant zusammenlebten, über die Jahrhunderte in der Diaspora gehalten. Tatsächlich ins Land ihrer Träume zurückgekehrt sind jedoch nur wenige: Heute leben rund 12.000 Juden in Spanien. Dorothea Hahn

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