■ Standbild: 3.000 Nadeln
„Brisant“, Montag, 17.10 Uhr, ARD
Boulevard bis zum Abwinken ist die Mission des MDR-Magazins „Brisant“: Der Crash eines Rennfahrers in Daytona – ein Sekundenschnipsel. Ein „Leningrad Cowboy“ singt in der Edelpinte „Café Einstein“ live „Hänschen klein“. Und danach kommt ein Pflichtbericht über den fünften Jahrestag von Rushdies Todesurteil. Vorher geistert eine in die Jahre gekommene Elke Sommer über die Berlinale-Parties, um nach Johnny Depp zu fragen. Besonders die Hüte haben es ihr angetan – seit sie 1989 überfallen und einiger Haare beraubt wurde. Jüngst klagte sie, wie grausam Hollywood sein kann: „Bei so einem Fototermin hatte ich bestimmt 3.000 Nadeln auf dem Kopf, um diese verdammten falschen Haarteile zu fixieren.“ Die richtige Verpackung ist schon der halbe Verkaufserfolg – dachten sich auch die MDR-Strategen und holten Sommer als Berlinale-Lockvogel vor die Kamera. Ihr letzter Auftritt in den gemischten Zeitungsseiten war erst am 10. Dezember, als sie wegen einiger Schmähworte von Zsa Zsa Gabor („hundertjährige Großmutter“) 3,2 Millionen Dollar zugesprochen bekam. Damit liegt sie noch etwas über den überdurchschnittlichen Gehältern, die sich die MDR-Leute gönnen.
Aber daß sie eigentlich bloß moderieren soll, hat sie bei all der Aufregung glatt vergessen. Sie verinnerlicht statt dessen das Kindchen- Schema, setzt für Christopher Lee das Dracula-Gebiß auf und läßt sich die Flossenschuhe der „Leningrad Cowboys“ „auf meinen Schenkel“ legen – „der helle Wahnsinn!“ ARD-Programmdirektor Günter Struve versprach, daß „Brisant“ eine „investigative statt voyeuristische Sicht“ biete. Mrs. Sommer hält sich dran und streckt ungefragt Bilder ihrer eigenen Hochzeit in die Kamera. Wie bemerkte der Kölner TV-Philosoph Dr. Helmut Thoma treffend: „Im Seichten kann man nicht ertrinken.“Dieter Deul
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