: 30 Prozent weniger?
VON BERNWARD JANZING
Plötzlich ist wieder ein Thema in der Welt, das alle Bundesregierungen stets verdrängt hatten: ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Ausgelöst hat die Debatte der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Andreas Troge, indem er sich erneut für eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde aussprach. Damit könne der Kohlendioxid-Ausstoß von Autos um 10 bis 30 Prozent reduziert werden. Derzeit ist der Verkehr zu einem Fünftel am gesamten Ausstoß von Kohlendioxid in Deutschland beteiligt.
Aus dem Umweltministerium hieß es gestern, für Sigmar Gabriel sei die Forderung seines obersten Beraters „kein Thema“, weil es wirksamere Wege der CO2-Reduktion gebe. Auch Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee lehnt ein Tempolimit ab. Unterstützung kommt hingegen vom Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sogar Tempo 100 fordert, weil ab dieser Geschwindigkeit der Verbrauch überproportional ansteige. Und auch von den Grünen kommt Zustimmung: Autos, die auf eine Spitzengeschwindigkeit von allenfalls 140 Kilometer pro Stunde ausgelegt seien, könnten viel verbrauchsärmer konstruiert werden, sagte Umweltexperte Reinhard Loske.
Neben dem Tempolimit fordert Troge mehr Engagement der Autobauer: „Statt Energie sparende Motoren zu entwickeln, baut die Industrie Wagen mit der Leistung mehrerer Kavallerieregimenter unter der Motorhaube.“ Zudem fordert er die Einführung einer Kerosinsteuer sowie die Erhöhung der Lkw-Maut von 12,5 Cent auf 30 Cent pro Kilometer.
Durch die Ökosteuer und höhere Ölpreise ist der Spritverbrauch in Deutschland zuletzt leicht gesunken. In diesem Jahr wird der Absatz um rund 2 Prozent niedriger liegen als 2005. Ein Grund ist der Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr: Die Fahrgastzahlen sind in diesem Jahr um 2 Prozent gestiegen.
Fortschritte beim Autobau hätten den Spritverbrauch deutlich stärker senken können, doch dem steht die stetige Gewichtszunahme der Fahrzeuge entgegen: Seit 1995 ist der durchschnittliche Neuwagen um mehr als 300 Kilogramm schwerer geworden.
Das treibt den Verbrauch: 100 Kilogramm zusätzliches Gewicht bedeuten einen halben Liter Sprit mehr je 100 Kilometer. Angesichts solcher Fehlentwicklungen hofft Troge nun, mit einem Tempolimit zumindest einen kleinen Fortschritt im Klimaschutz erzielen zu können – und erntet sofort Protest der Autolobby. Der Automobilclub von Deutschland erklärt, die Durchschnittsgeschwindigkeit liege im gesamten deutschen Autobahnnetz ohnehin bei unter 117 Kilometern pro Stunde, da man auf weniger als 20 Prozent der Autobahnen unbeschränkt rasen könne. Einsparungen von bis zu 30 Prozent könnten daher „schlichtweg nicht eintreten.“
Von 30 Prozent in der Gesamtbilanz hatte Troge ohnehin nie gesprochen. Frühere Untersuchungen des UBA zeigen, dass zwar die einzelne Fahrt bei Tempo 120 bis zu 30 Prozent Kohlendioxid vermeidet, verglichen mit der ungebremsten Raserei. Doch auf den gesamten Ausstoß des Straßenverkehrs bezogen, würde ein Limit von 120 gerade rund 2 Prozent Reduktion bringen.
Das klingt wenig. In der Praxis dürfte der Umwelteffekt eines Tempolimits aber deutlich höher sein – denn der vermutlich entscheidende Aspekt ist in den Kalkulationen des UBA noch gar nicht enthalten: Wer mit dem Auto nur 120 Kilometer pro Stunde vorankommt, während ein ICE mehr als doppelt so schnell fährt, wird sein Auto häufiger stehen lassen.