: 22 Monate wegen Steinewerfens
■ Solidaritätsdemonstration für Hamburger Hafenstraße im vergangenen Dezember: Dortmunder Student wegen angeblichen Steinwurfs verurteilt / Polizeieinsätze während der Verhandlung
Aus Hamburg Ute Scheub
Wegen der „schrecklichen und verwerflichen Einstellung“ des Angeklagten seien „generalpräventive Gründe“ ausschlaggebend gewesen, begründete das Hamburger Schöffengericht sein hartes Urteil von einem Jahr und zehn Monaten Haftstrafe ohne Bewährung gegen den 25jährigen Dortmunder Studenten Andreas P. Er habe auf der Hamburger Solidaritätsdemo für die ehemals besetzten Häuser der Hafenstraße am 20.12.86 „mindestens zwei Steine“ in Richtung einer mit dem Rücken zu ihm stehenden Polizeikette geworfen. Das sei eine „so abscheuliche Verhaltensweise“, meinte der Vorsitzende Richter Beyer, daß der Strafantrag des Staatsanwalts, anderthalb Jahre, „nicht ausreichend war“. In der Beweisaufnahme waren nur Polizeizeugen gehört worden. Trotz erfolgter Absprache bei Formulierung der Strafanzeige hatten sie völlig unterschiedliche Versionen des Tatgeschehens präsentiert. Der Hauptbelastungszeuge wollte drei Würfe mit einem Stein und einen mit einer Flasche gesehen haben, der zweite Zeuge nur einen Steinwurf, dem „mit Sicherheit“ keine Flasche folgte, der dritte hatte nur den „Wurf mit einem brennenden Gegenstand“ durch eine andere Person gesehen. Warum das Schöffengericht dann auf „mindestens zwei Steine“ erkannte, begründete es interessanterweise mit keinem Wort - anscheinend hatte es bloß mal einen Durchschnitt errechnet. Der insgesamt dreitägigen Verhandlung wohnten zahlreiche Zuschauer bei: einige aus der Hafenstraße, andere waren extra von Dortmund angereist. Als einige von ihnen bei der Urteilsverkündung nicht aufstehen mochten, wollte der Vorsitzende Richter Beyer den Saal durch das Polizeiaufgebot im Gerichtsgebäude räumen lassen, doch die Alarmanlage versagte. Statt dessen wurde das ganze Gebäude abgeschlossen: Verteidiger, Staatsanwälte und Journalisten blieben für einige Minuten von sämtlichen Verhandlungen dieses Tages ausgesperrt. Weil der Staatsanwalt sich „geschubst“ fühlte, kam es nach Schluß der Urteilsverkündung nochmal zu einem Polizeieinsatz. Dabei wurde einer der Zuhörer von vier Polizisten festgehalten, ein fünfter trat ihm in die Nieren.
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