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»200 Mark zum Leben«

■ Fast alle Ostberliner VietnamesInnen arbeitslos, meist Warten auf den Heimflug, viele in Westdeutschland

Ost-Berlin. Von den 4.600 nach Ost-Berlin geholten Vietnamesen sind bereits 3.800 arbeitslos, berichtete gestern Tran Manh Tuan, Attaché der vietnamesischen Botschaft in Ost-Berlin, gegenüber der Presse. Die große Mehrheit der Vietnamesen seien zur sofortigen Heimreise bereit, die einzige Grenze bilde im Moment nur die monatliche Flugkapazität von 2.000 Plätzen. Von den in den letzten Jahren durch Regierungsabkommen ins ganze Land geholten 60.000 vietnamesischen Arbeitern seien 5.000 inzwischen nach Westdeutschland gegangen und 3.500 bereits Richtung Hanoi abgeflogen.

Inzwischen mehren sich auch die Hinweise, daß viele Betriebe sich weigern, die zwischen den Regierungen ausgehandelte einmalige Entschädigungssumme von 3.000 Mark bei vorzeitiger Kündigung zu bezahlen. Der vietnamesische Botschafter berichtete, daß ihm viele entsprechende Fälle bekannt geworden sind. Tran Manh Tuan beklagte außerdem die sich ständig verschlechternde finazielle Lage der noch beschäftigten vietnamesischen ArbeiterInnen. Das bislang übliche Trennungsgeld von 120 Mark im Monat würden die Betriebe nicht mehr überweisen, die Sozialversicherungsbeiträge hätten sich verdreifacht, und für einen Platz in einem Arbeiterwohnheim mit Mehrbettzimmern müßten die Arbeiter bis zu 270 Mark monatlich auf den Tisch legen. »Mit allen Abzügen bleiben nur 200 Mark zum Leben, oft weniger«, umriß der Attaché die Situation. Die miserable wirtschaftliche Lage sei auch der Grund für den hohen Anteil von Vietnamesen an Schwarzmarktgeschäften.

Der Diplomat beklagte ferner, daß neben Rechtsradikalen und aufgehetzten Jugendlichen auch amtliche Stellen die Würde der Asiaten verletzten. »Es gab in Arbeiterwohnheimen Razzien ohne Durchsuchungsbefehl«, sagte er, »die Polizei schaut weg, wenn unsere Landsleute angegriffen und geschlagen werden.« adn/taz

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