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„1947“

29.5. 1947: Ordentliche Sitzung der Stadtverordnetenversammlung von Groß=Berlin: bei der Erörterung von wirksamen Maßnahmen gegen den Schwarzhandel gibt der Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses, Stadtverordneter Orlopp (SED) bekannt, daß nach Feststellungen der Kriminalpolizei 5 bis 7 Prozent der bewirtschafteten Lebensmittel und 10 bis 12 Prozent der Textilien auf den schwarzen Markt gelangen. Die zu große Zahl von Geschäften für bewirtschaftete Waren und die zu hohen Steuern haben nach Meinung von Wirtschaftssachverständigen jeden zweiten Kaufmann zum Schwarzhändler werden lassen, da die Schwarzhandelspreise um das 30=fache über den amtlich zugelassenen Preisen liegen.

Die Industrie ist für die Beschaffung von Rohstoffen zur Kompensation gezwungen, so daß zum Beispiel 40 Prozent der Gesamtproduktion der Elektroindustrie dafür verwendet werden. Die Unterbindung der Kompensation hätte zur Folge, daß sämtliche Betriebe aus Rohstoffmangel bis zu 75 Prozent der Beschäftigten entlassen müssen. Die auf dem schwarzen Markt gehandelten Lebensmittel kommen weniger aus den amtlich zugelassenen Schwundsätzen als vielmehr aus der sowjetischen Besatzungszone und aus täglich etwa 250 Einbrüchen in Lebensmittelgeschäften. Mindestens zwei Morde oder Schwerverbrechen stehen täglich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Schwarzmarkt. Die Bekämpfung durch gerichtliche Verurteilung hat sich als völlig unzulänglich erwiesen. Der Magistrat wird aufgefordert, durch strenge Verwaltungsmaßnahmen und die Verbreitung von Gesetzen den Schwarzhandel wirksamer als bisher zu bekämpfen.

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