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■ 1.800 Ermittlungsverfahren wg. HerzklappenskandalEthik und Monetik

Der Herzklappenskandal ist nur die Spitze des Eisbergs. Kommerzielle Beweggründe bestimmen seit Jahren in zunehmendem Maße ärztliches Handeln. Pharmavertreter verleiten durch großzügige Geschenke zur Verordnung fragwürdiger Medikamente, die Gebührenordnungsakrobatik in der niedergelassenen Praxis beansprucht Zeit und Denken der KollegInnen gelegentlich mehr als das Nachdenken über notwendige Diagnostik und Therapie. Und neuerdings werden KassenpatientInnen offen und zusätzlich um Privathonorar bei Kassenleistungen gebeten.

Dieser Verfall ärztlicher Ethik, diese schleichende Entwicklung hin zu einer Korruptionsmedizin, bei der ohne zusätzlichen Griff ins Portemonnaie nichts mehr oder nur Minderwertiges geboten wird, ist zwar anderswo schon lange Realität, für Deutschland aber noch in den Anfängen. Überall dort, wo ärztliches Handeln an materielle Entschädigung unmittelbar geknüpft ist, besteht die Tendenz zur Überbewertung der Monetik und zur Vernachlässigung der Ethik.

Wir brauchen wieder eine berufliche Umgebung, in der wir frei von kommerziellen Erwägungen handeln können, in der nicht bestimmte Leistungen, ob sie sinnvoll sind oder nicht, belohnt werden, sondern das Heilen, das Lindern von Leiden, der Arzt-Patienten-Kontakt in seiner ganzen Komplexität. Der Herzklappenkorruptionsskandal wäre nicht möglich gewesen, wenn die Indikationsstellung zur Operation und der Einkauf beziehungsweise die Verhandlungen mit den Produzenten der Klappen in unterschiedlichen Gremien gelegen hätten. Aber selbst diese Trennung bietet zukünftig keine Garantie gegen Korruption mehr, müssen doch durch die Krankenhausreformen Träger und Verwaltung dieser Einrichtungen in bisher nicht gekannten Ausmaßen sparen und jede erdenkliche Quelle für zusätzliche Einnahmen ausschöpfen. So fördert eben genau diese Politik, ungewollt, den eingeengten Blick auf Geld und letztlich auch die Korruption.

Es bleibt zu hoffen, daß der jetzt bekanntgewordene Skandal nicht nur in der Öffentlichkeit Beachtung findet, sondern auch eine innerärztliche Diskussion über die Beziehung von Arzt und Geld auslöst. Ohne eine solche breite Debatte sehe ich schwarz für den hohen ethischen Anspruch. Winfried Beck

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