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16 Grad Temperatur an der Rasenwurzel

Bei eisiger Kälte hilft nur Warmlaufen. Trotz Rasenheizung. Jürgen Röber steht einsam dabei. Ein Winterbesuch beim ersten Training von Hertha BSC

„Irgendwer auf Schalke hat verraten, was unter Verschluss bleiben sollte“

von MARKUS VÖLKER

Zwei Jets malen ein Kreuz an den eisblauen Himmel. Baulärm dringt vom Olympiastadion herüber. Etwa 50 Fans schlingern über Eisplatten zum Trainingsplatz von Hertha BSC. Die Sonne steht schon tief. „Scheiß Licht“, schimpft ein Fotograf. Das Grün des Rasens ist satt. Vor ein paar Tagen erst wurde eine Rasenheizung auf dem Schenckendorff-Platz installiert. Sie läuft Tag und Nacht, damit die Profis nicht über Schnee traben müssen.

In blauer Kluft kommen die Ersten, Torsteher Gabor Kiraly und Mittelfeldspieler Pal Dardai. Der Rest trottet heran. Frierend tändeln sie mit den Bällen. Dann ruft sie Pressesprecher Felder zusammen. Zum Fototermin.

Mit aufs Bild kommt Tessen Thierschmann, 60, der seinen Abschied als Platzwart begeht. 32 Jahre hat er das Feld im Olympiastadion in Schuss gehalten, und dabei einiges erlebt. Früher, da ist strenger Frost noch ein Problem gewesen, erklärt er, weil mit Kalk geweißt wurde und die Linien handbreit zu kleinen Wällen „rausfroren“. Den Schiedsrichter Eschweiler hat das damals wenig gekümmert, erzählt Thierschmann. Der ist mit theatralischer Geste über die Huckel gestiegen und hat das Spiel freigegeben. Einmal waren auch zwei englische Hubschrauber da, die mit ihren Rotoren einen überfluteten Strafraum zu trocknen versuchten. „Das Wasser ist nur so weggepratscht“, erinnert er sich.

An diesem bitterkalten Nachmittag muss keiner wie früher mit Propangas hantieren, um dem Frost zu trotzen, nicht bei einer „Rasenwurzeltemperatur von 16 Grad“, wie Thierschmann weiß. Das weiche Geläuf nutzen die Spieler zu einer Partie neun gegen neun. Jürgen Röber steht abseits und schaut dem Treiben einsam zu. Ruft manchmal: „Gut so. Ja, schneller auf die Seite“. Mehr nicht. Ein halbes Dutzend Fotografen richten ihre Objektive auf den Trainer, auf einen Schnappschuss hoffend.

Derweil erwartet Dieter Hoeneß die Journalisten. Pressesprecher Felder eskortiert sie zur Geschäftsstelle. „Vorsicht, frisch gestrichen“, raunt er beim Eintritt. Keine offizielle Pressekonferenz stehe an, stellt der Manager klar. Nur ein kleines Gespräch. Hoeneß wünscht den Berichterstattern vom Boulevard per Handschlag ein gesundes, neues Jahr. Ein freudvolles ist es für ihn leider in den ersten Tagen des Januars nicht gewesen.

Der Trainerwechsel treibt Hoeneß um. Irgendwer auf Schalke hat verraten, was unter Verschluss bleiben sollte. Aus Gelsenkirchen sickerte die Meldung durch, Hoeneß habe mit Huub Stevens über die Nachfolge verhandelt. Trainer Röber geht Ende Juni. Nach sechs Jahren. Es habe keinen Zweck, die Sache mit Stevens diskret zu behandeln, wenn sie eh schon bekannt sei, sagt Hoeneß. „Ich habe dem Rudi Assauer erklärt, dass wir mit ihm bzw. mit seinem Berater Kontakt aufgenommen haben.“ Noch vor Ende der Winterpause will sich der Verein mit Stevens einig sein.

Der Manager gibt anschließend das Motto der nächsten Wochen aus: Arbeiten am Erfolg. Mit Röber. Und mit Sebastian Deisler, der weiterhin verletzt ist. „Er wird noch ein bisschen brauchen, aber ins Trainingslager nach Marabella nachkommen“, referiert Hoeneß. Zu den Freundschaftsspielen gegen den SC Heerenveen und die tunesische Nationalmannschaft wird der künftige Bayern-Angestellte aber nicht auflaufen. Ob er gegen Borussia Dortmund am 26. Januar im Kader steht, ist unwahrscheinlich. Deisler lässt mitteilen: „Überstürzen werde ich nichts.“

Hoeneß macht sich und den Seinen indes Mut, selten sei die Ausgangslage besser gewesen. Nur Alex Alves bekommt den Unmut des Managers zu spüren. Weil der Brasilianer schon wieder zu spät aus Sao Paulo zurückgekehrt ist, erwarte den Stürmer eine Geldstrafe im „fünfstelligen Bereich. Bringen wir ihn eben so zur Räson“, sagt Hoeneß.

Die Reporter nehmen noch einen Schluck heißen Kaffee und schlendern zurück zum Trainingsplatz, wo die Kicker weiter ihrem Spiel nachgehen. Gelb gegen blau. Die Gelben liegen vorn. Die Zuschauer, die hinter einem Absperrband aus Plastik ihre Schals fester um die Hälse binden, verlieren langsam das Interesse am lässigen Übungsspiel. Martin König ist mit seinem Sohn Nils, 5, gekommen, um im Fanshop Stutzen zu kaufen. Der Laden hatte aber zu. So sind beide zum Training gegangen. Nils spielt im Kindergarten Fußball. „Das ist doch viel besser als Gameboy“, sagt der Vater. „Nein, Gameboy ist besser“, quengelt der Sohn und bringt den Kita-Erzieher etwas in die Bredouille. Nils hat es sich auf einer gefrorenen Pfütze gemütlich gemacht und schaut sich die bunten Bilder in der Stadionzeitung „Wir Herthaner“ an. Er verpasst gerade ein Tackling von Marko Rehmer. Der frostgeschüttelte Papa drängt zum Aufbruch. Nils: „Mir ist gar nicht kalt.“

Nach einer guten Stunde schallt ein Pfiff über das Areal. Röber macht Schluss. Zögerlich schreitet er im aufziehenden Abendrot auf die Kameras zu. Der Trainer, der sich im österreichischen Obergurgl vom Stress der letzten Zeit erholt hat, sagt, man solle doch endlich einen Themenwechsel vornehmen. Nicht immer die Trainergeschichte breittreten. „Jetzt geht das schon wieder los“, stöhnt er und schließt die Bitte an: „Können wir uns nicht auf die Spieler konzentrieren, das ist wichtiger.“ Wichtig sei obendrein, „dass die Mannschaft an die Serie anknüpft.“

Von 24 möglichen Punkten hat Hertha BSC zuletzt 21 geholt. Trainer seien sowieso austauschbar, postuliert er dann mutig – „Randerscheinungen“. Nichtsdestotrotz habe er noch einiges vor in Berlin. Den DFB-Pokal möchte er holen. Zum Abschied. „Das wäre ein Märchen“, sagte er jüngst. Seine Zukunft ist noch ungewiss. Behauptet Röber. In Obergurgl wurden aber schon türkische Besucher im Schnee gesichtet.

Andreas Schmidt hat seine Weihnachtsferien im Süden auf Mauritius verbracht. Er ist gut gebräunt. Der Wetterschock sei unproblematisch, meint er. Seine Haare sind von Rauhreif bedeckt. Verteidiger Schmidt ist auf der warmen Insel nur gejoggt, jeden zweiten Tag. „Die hatten ein prima Laufband im Hotel“, freut er sich noch im Nachhinein. Die Gedanken an den Fußball waren komplett abgeschaltet. Deswegen „laufen die Jonglier-Übungen auch noch nicht rund“, räumt Schmidt ein, „da ist der Ball ein bisschen dein Feind“. Doch den Herthanern bleibt noch genügend Zeit, um mit dem Ball wieder Freundschaft zu schließen.

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