: 14 Semester Grundstudium
■ Warum das Studium solange dauert: Beispiel Anglistik an der Humboldt-Universität / Lückenhafte Vorlesungsverzeichnisse erschweren den Windmühlenkampf der Studenten
Politiker beklagen immer wieder überlange Studienzeiten und geben dabei oft genug den Studierenden die Schuld daran. Die StudentInnen wissen es besser: Sie sind die Leidtragenden einer Hochschulmisere, kämpfen mit den Tücken der Studienordnungen, sind konfrontiert mit Lehrkräftemangel und überfüllten Seminaren. In einer kleinen Serie beschreibt die taz, warum das Studium solange dauert.
Die Gänge werden immer dunkler. Vorne noch der prachtvolle Eingang zur „Kommode“ am Bebelplatz, dann treppauf, treppab durch den Übergang ins Alte Palais Unter den Linden, Zementsäcke, Handwerker. Ganz hinten, wohin noch kein Bautrupp vorgedrungen ist, wo noch Osttapeten und braunes Linoleum regieren, schließlich die Räume des Instituts für Anglistik und Amerikanistik. Mit 370 Neueinschreibungen in diesem Semester eine der größeren Fachrichtungen, aber dennoch – wie es scheint – ein Stiefkind der Humboldt-Universität.
Verzweifeltes Blättern in der Studienordnung
Bastian, der zum laufenden Wintersemester an den Fachbereich Anglistik wechselte, blättert verzweifelt in der Studienordnung. Hätten ihm an anderen Unis zwanzig Semesterwochenstunden im Grundstudium gereicht, braucht er nun deren dreißig – oder mehr. Denn einige Veranstaltungen umfassen in der Praxis mehr Stunden als in der Ordnung angegeben. „Viel mehr Klausuren und mündliche Prüfungen“ würden hier verlangt, klagt er. Zudem findet er die in der Studienordnung vorgeschriebenen Pflichtveranstaltungen im Vorlesungsverzeichnis des Fachbereichs nicht wieder.
Große Verwirrung auch bei Stefan, der schon im fünften Semester an der Humboldt-Universität studiert und noch immer mitten im Grundstudium steckt. „In der Prüfungsordnung stehen ganz andere Prüfungen und Kurse als tatsächlich angeboten werden.“ So ist dort von einer Grammatik-Prüfung die Rede, tatsächlich müssen die Studierenden statt dessen ein „Essay“ schreiben.
Hausgemachte Probleme, die auch Benita Bischoff, die Studienberaterin des Instituts, eingesteht. So wird demnächst eine leicht entschlackte Version der Studienordnung in Kraft treten, die künftig „bei der Gestaltung des institutseigenen Vorlesungsverzeichnisses stärker berücksichtigt werden“ soll. Doch kämen auch viele Studierende gar nicht in die Studienberatung – aber gerade über die klagt Bastian, es fühlten sich „alle immer nicht zuständig“.
Die Anerkennung seiner zuvor erworbenen Scheine bereitete zusätzlich Probleme. So bekam er ein zweisemestriges Linguistik-Seminar mit großer Klausur nicht anerkannt, auch eine Übung in „oral communication“ entsprach nicht den Vorstellungen der Humboldt- Anglisten. „Ein Jahr hab' ich praktisch in den Sand gesetzt“, klagt er.
Alle fühlen sich immer für nicht zuständig
Noch schlimmer sieht es freilich für Studierende aus, die sich noch zu DDR-Zeiten eingeschrieben haben. In der Studentenzeitung Unaufgefordert klagte eine Studentin: „Rein rechnerisch befinde ich mich im 14. Semester Grundstudium der Anglistik. Die Dozenten, Doktoren und Professoren, bei denen ich vier Jahre lang studiert habe, wollen meine (und damit ihre!) Arbeit nicht anerkennen, sie wird als unzureichend eingeschätzt.“ Die studentischen Redakteure kommentierten, „daß Bürokratie und die (sehr deutsche) Wut, alles ständig zu regeln, Probleme schaffen können, die es ohne sie nicht gäbe“.
Weiter berichtete die Zeitung, der Linguist Klaus Hansen habe wiederholt erklärt, daß er „fehlende StudentInnen auf Listen registriere und sich bemühen werde, diesen den weiteren Verlauf ihres Studiums zu erschweren“.
Doch nicht allein der Kampf gegen die Windmühlenflügel der Bürokratie erschwert den angehenden Humboldt-Anglisten das Leben. Von den zwölf Professuren des Instituts sind noch immer die vier C3-Stellen unbesetzt, weil die BewerberInnen im letzten Moment abgesagt haben – darunter die einzige Professur für Keltologie, die jetzt mit einem Gastdozenten von der FU notdürftig über Wasser gehalten wird. Die Mittelbau-Stellen sind stark zusammengestrichen worden, so daß die verbleibenden Lehrkräfte ihre Deputate zum Teil verdoppelt haben. Ein „Überlebenskampf“, wie Bischoff es nennt.
Die Lehrkräfte kämpfen ums Überleben
Auch die Bibliothek läßt, wie an den meisten Humboldt-Fachbereichen, noch stark zu wünschen übrig. Sie bietet nur etwa 15 Arbeitsplätze, die Literaturbestände sind so lückenhaft, daß die Dozenten Bücher für ihre Seminare häufig von der FU holen. Die bisherige Bibliothekarin hat vor kurzem gekündigt.
Schließlich sorgt die Raumsituation für weiteren Frust. Auch sie trägt dazu bei, meint Bastian, daß der Fachbereich sehr unpersönlich und „nie jemand anzutreffen“ sei. Wenn die Juristen Kommode und Altes Palais irgendwann ganz in Beschlag nehmen, sollen die Anglisten ins Hauptgebäude ziehen. Bis dahin, fürchtet Benita Bischoff, wird ihr Institut „möglicherweise noch zwischengelagert“. Ralph Bollmann
Wird fortgesetzt
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