■ Mit der Volksprivatisierung auf du und du: 10.000-Rubel-Scheine für alle Russen
In Rußland beginnt heute die Privatisierung der Produktionsmittel. 35 Prozent des Vermögens der größten Staatswirtschaft der Welt sollen an das Volk verteilt werden. Jede Russin und jeder Russe kann sich in einer der im Land verteilten Filialen der „Sberbank“ einen Gutschein im Nennwert von 10.000 Rubel (das entspricht derzeit rund zwei durchschnittlichen Monatsgehältern) abholen. Die Gutscheine wiederum können bei rund 5.500 Betrieben gegen Aktien eingetauscht oder verkauft werden.
Das „Professoren“-Kabinett unter Regierungschef Jegor Gaidar hat sich auf eine Gratwanderung eingelassen. Die national-konservative und die neokommunistische Opposition sind — größtenteils gemeinsam — in den vergangenen Wochen voll in die Offensive gegen die Privatisierung gegangen. Und Finanzexperten erwarten ohnehin, daß der Wert der Privatisierungsgutscheine bis Ende des Jahres auf 2.000 Rubel einbrechen wird. So richtig weiß nämlich niemand, wieviel die Staatsbetriebe denn nun tatsächlich wert sind.
Bereits heute abend öffnet in Moskau eine Börse für den Handel mit den Schecks. Die jeweiligen Kurse für die Papiere werden am Abend in einer speziellen Fernsehsendung bekanntgegeben. Dem Börsenchef Andrej Wlassow wurde bereits vorgeworfen, daß die Menschen mit dem Handel ausgestrickst werden sollen.
In der Tat besteht die Gefahr, daß die finanzkräftige Nomenklatura die Schecks aufkaufen und ansammeln kann. Damit würde der Unterschied zwischen den armen 95 und den reichen fünf Prozent der Bevölkerung weiter zementiert.
Einen belebenden Effekt auf die Betriebe wird die Aktion ohnehin nicht bewirken können: Sie erhalten auf diese Weise keineswegs das dringend benötigte Kapital. Auch an der Monopolstruktur der Wirtschaft ändert sich zunächst nichts allein durch die Tatsache, daß sich künftig 35 Prozent der Anteile in Streubesitz befinden werden. Ausgeschlossen von der Privatisierung sind Grund und Boden sowie Betriebe der Energieversorgung, staatliche Medien und Unternehmen, die für die nationale Sicherheit entscheidend sind. dri
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