■ beiseite: [030]
Das so genannte Nachtleben ist auch nur eine Religion. Diskursregel Nummer eins ist zum Beispiel die „Verknappung der Gnadenmittel“ (Luhmann). Das heißt, man erschwert den Zugang zu den Heiligtümern – sprich: Clubs – über unvollständige Adressangaben, die Kennzeichnung einer Lokalität als „illegal“ oder über einen arroganten Türsteher. Diskursregel Nummer zwei ist die Etablierung einer teiltabuisierten Sprache. Die alttestamentarischen Religionshüter zum Beispiel hörten es nicht gerne, wenn der Name Jehovas ausgesprochen wurde. Und im Nachtleben ist zwar vieles erlaubt, was anderswo verboten ist, aber ganz bestimmt darf man das Wort „Szene“ wenn überhaupt nur in laut mitgesprochenen Anführungstrichen benutzen.
Religionssoziologisch gesehen fand so gesehen 1994 ein Paradigmenwechsel statt: mit dem Start des Berliner Programmheftes [030]. Das Magazin berichtet seitdem kostenlos alle zwei Wochen über das Ausgehen in dieser Stadt – bisschen Kino, bisschen, Shoppen, viel Party – und setzt sich mit messianischem Eifer über bestehende Diskursregeln hinweg: Das Nachtleben tritt in [030] nicht als gebündeltes Geheimwissen auf, sondern als Sache, über die man reden darf. „Am Sonntag, dem 26. 09., trifft sich die Szene um 23 Uhr im Sage Club und feiert bis Montag früh um 10 Uhr“, lasen wir gerade erst. So einfach ist das.
[030] hat Maßstäbe gesetzt. Nicht zuletzt gründet auch die Erfolgsgeschichte des Flyer im vorexerzierten Übergang derGeheimreligion „Nightlife“ zur allgemein zugänglichen Gesellschaftsübung Ausgehen.
Oder um es in den eigenen Worten des Magazin zu sagen: „[030] hat es verstanden, mit der Szene zu wachsen. Als es auf dem Markt der Stadtmagazine angetreten ist, gab es noch keine Partyinfos in den klassischen Stadtmagazinen, heute kommt keines mehr ohne Clubguide und Partyseiten aus.“
[030] sind allerdings bis heute die einzigen geblieben, die eine Klatschkolumne ganz allein auf Clubs beschränkt haben. From disco to disco: „Marcellas heiße Spalte“. Es hat zugegebenermaßen fünf Jahre gedauert, bis man den Titel, Inhalt und Bebilderung dieser Kolumne wirklich würdigen konnte. Aber jetzt: „Das einzig Lesenswerte for those who know in dieser Stadt“, erklärt Fan Jürgen Laarmann in der neuen Ausgabe der [030]: Nummer 20. 1/99.
Das ist die Geburtstagsnummer. Herzlichen Glückwunsch! men
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