HAMBURGER SZENE VON KRISTOF BOTKA
: Mit dem Rücken zum Prediger

Ob wir ihn lieben, will der Prediger wissen. Schweigen. Schwer auszuhalten

Ablenkung. Die könnte ich jetzt gut gebrauchen. Ich sitze im Schanzenpark und wollte eigentlich nur ein paar Sonnenstrahlen nach Feierabend genießen. Doch jetzt lungere ich nicht mehr einfach nur herum: Ich sitze mitten in einer Predigt, mit dem Rücken zum Prediger. So sagt er das zumindest selbst, der Mann im mittleren Alter, auf den ersten Blick völlig unscheinbar. Auf den zweiten ziemlich mitteilungsbedürftig. Und laut.

Reflexhaft verkrümele ich mich über meinem Buch, versuche, wie all die anderen um mich herum, seine Worte zu ignorieren. Bloß nicht anmerken lassen, dass ich ihm zuhöre. Dabei ist es eigentlich gar nicht mal so uninteressant, wie er nacheinander laut den Koran und später einen lateinischen Segen rezitiert.

Wie er Lindenbergs Lieder singt und sich über die Weltordnung echauffiert. Fast schon beeindruckend. „Tupac wäre auch noch zum Islam übergetreten!“ Seine Stimme hallt in die frische Parkluft. Doch wenig regt sich, alle blicken weiter geschlossen nach vorn. Weg vom Prediger.

Lachen könnte ich jetzt. Seine Aussprüche sind schließlich witzig und die Situation ist einigermaßen grotesk. Doch mir ist nicht zum Lachen zumute. Dafür bin ich zu verlegen. Wegen des Predigers, und wegen mir selbst. Er sitzt nur wenige Meter hinter mir und ruft sich die Seele vom Leib. Doch wo sonst jemand erwidert, worauf sonst eine Unterhaltung folgt, da bleibt jetzt nur angespannte Stille.

Wer so weit sinkt, mit dem kann ja irgendetwas nicht stimmen. Mit dem werde ich jetzt ganz sicher nicht reden, was, wenn dann noch einer denkt, ich wäre genauso einsam. Ob wir ihn lieben, will der Prediger wissen. Schweigen. Schwer auszuhalten. Ein paar Punks ringen sich „ein bisschen“ von den Lippen. Aber nun gut, die sind ja auch verrückt.