Wahlkampf mit einer Ermordeten

In Pakistan führt die Volkspartei der ermordeten Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto vor den Parlamentswahlen an diesem Montag die Umfragen an. Doch die Bevölkerung ist angesichts wiederholter Terroranschläge zutiefst verunsichert

AUS LAHORE UND ISLAMABAD SASCHA ZASTIRAL

Alle großen Straßen in Pakistans Kulturmetropole Lahore sind mit Wahlplakaten gepflastert. Lautsprecherwagen der großen Parteien fahren bis spät in die Nacht durch die Viertel und machen Stimmung für die Parlamentswahlen an diesem Montag. Vereinzelt gehen Anhänger in kleinen Gruppen hinter den Wagen mit. Doch viele sind es nicht. Zu oft haben sich in den vergangenen Wochen inmitten solcher Umzüge Fanatiker in die Luft gesprengt. Die Terrortaktik der Islamisten in der ansonsten überwiegend gemäßigt religiösen Islamischen Republik geht auf: Viele Pakistaner sind zutiefst verunsichert oder bleiben gleich zu Hause.

„Welche Wahl haben wir denn?“, fragt Sherry. Der Mathematikstudent hat sich in einem Café mit Freunden getroffen. Zur Wahl stünden eigentlich nur Nawaz Sharifs Muslimliga (PML-N), eine Partei von Großindustriellen, oder die Volkspartei (PPP) der ermordeten Benazir Bhutto. „Großgrundbesitzer“, erklärt der BWL-Student Hasan. Und die PML-Q, die Partei der Musharraf-Unterstützer? „Die möchte niemand im Amt sehen. Die meisten hassen Musharraf und die Armeeführung.“

Adeel, Anfang 20, stammt aus Karatschi in der südlichen Provinz Sindh, der Heimat der ermordeten Bhutto. Er sagt: „Viele Sindhis sind überzeugt, dass die Regierung hinter dem Mord an Bhutto steckt. Daher wird die Forderung nach Loslösung von Pakistan dort seitdem immer stärker.“ Auch die Medien diskutieren schon, ob Pakistan nicht bald in seine Provinzen zerfällt. Der Staat ist in der Sinnkrise.

Im November hatte Musharraf den Notstand verhängt und die Richter des Obersten Gerichts abgesetzt, um seine Wiederwahl zum Präsidenten zu sichern. Danach baute er seine Machtbefugnisse aus. So abgesichert nahm er den Notstand zurück und ließ auch Nawaz Sharif, den er 1999 aus dem Amt geputscht hatte, nach acht Jahren aus dem Exil zurückkehren. Kandidieren darf Sharif jedoch nicht.

Dessen Hauptquartier in Lahores besserem Viertel Model Town ist mit Plakaten zugeklebt. Überall stehen private Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren. Die Tür zur Wahlkampfzentrale öffnet sich. Sharif tritt nach außen und steigt in seinen gepanzerten Geländewagen ein. „Er fährt zur Moschee“, sagt ein Anhänger seiner Partei.

Wegen seiner Kooperation mit Islamisten ist Sharif den USA suspekt. Die Wunschkandidatin der Supermacht war Benazir Bhutto. Ein von den USA favorisierter Deal über die Teilung der Macht zwischen ihr und Musharraf galt als ausgemacht. Die Hoffnung darauf starb am 27. Dezember mit Bhutto. Auf allen Wahlplakaten, in allen Wahlspots, auf Autos, Rikschas und Lkws ist sie abgebildet. „Wählt die Pakistanische Volkspartei“, sagt ihr 19-jähriger Sohn Bilawal in einem Spot. „Denn Benazir hat für diese Wahlen ihr Leben geopfert.“

Ihre Anhänger fahren in einem Autokorso durch die Planquadrate der am Reißbrett entworfenen Hauptstadt Islamabad. Megafone tragen ihre letzte Rede durch die Straßen. Aus den Fenstern der zwei Dutzend Wagen schwenken junge Anhänger der PPP rot-schwarz-grüne Parteiflaggen. Die PPP führt in allen Umfragen.

Mohammad Siddiq, ein 20-jähriger Mathematikstudent aus den Stammesgebieten im Nordwesten seht schaut dem Autokorso nach. Hinter ihm liegt Islamabads Rote Moschee. Hier eskalierte im Sommer 2007 der Krieg der Islamisten gegen den Staat.

Monatelang versetzten die über tausend Schüler der Koranschule im Zentrum Islamabads das gesamte Viertel in Angst. „Ein Mal“, erzählt Mohammad, „saß ich in einem Internetcafé. Da sind zwanzig von denen reingestürmt und haben nachgeschaut, auf welchen Webseiten die Besucher surfen.“ Auf einem Monitor sei ein Bollywood-Video gelaufen, an einem anderen Rechner habe sich ein Mann „detaillierte Fotos“ heruntergeladen. Die Koranschüler zwangen alle, erzählt Mohammad, das Café zu verlassen und drohten dem Besitzer wiederzukommen.

Immer öfter kam es auch zu Schießereien mit Sicherheitskräften. Im Juli ließ Präsident Musharraf seine Armee die Anlage stürmen, mehr als hundert Menschen starben. Heute ist an der Stelle der einstigen Koranschule nur noch eine Schotterfläche. Die Regierung ließ das Gebäude, das durch die Kämpfe schwer beschädigt wurde, bis auf den letzten Stein abtragen. Vor der Moschee, einem modernen Zweckbau mit weißen Minaretten, steht ein Mullah in traditionellen Gewändern. Der zerstörte Gebäudekomplex wurde zum Wallfahrtsort für Islamisten. „Viele Pakistaner fanden es berechtigt, dass Musharraf gegen die Radikalen vorgegangen ist“, sagt Mohammad. „Aber die vielen toten Glaubensbrüder und -schwestern bedauern alle.“ Musharraf hätte verhandeln sollen.

Seitdem vergeht fast kein Tag, an dem sich nicht irgendwo im Land ein Attentäter vor Soldaten oder Vertretern des Staates in die Luft sprengt. Auch Politiker geraten werden immer wieder getötet. Erst am Samstag starben bei einem Anschlag auf das Büro eines PPP-Abgeordneten im Nordwesten mehr als 30 Menschen.

Daher sollen die Wahllokale landesweit 60.000 Soldaten und Polizisten. Sie haben den Befehl, bei ernsten Vorfällen sofort zu schießen. Mehrere Islamistenführer haben angekündigt, sie würden die Wahlen stören. Doch die wirklich kritische Phase kommt erst danach. Sollten sich die vielen Vorwürfe von Manipulationen bewahrheiten oder gar die Partei der Musharraf-Unterstützer gewinnen, drohen Unruhen.

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