Konkreter Klang und Abstraktion

Von Peter Brötzmann bis Godspeed You Black Emperor: Felix Klopoteks Gedanken zur Musik gibt es jetzt als Buch

„Free Jazz, Improvisation und Niemandsmusik“, heißt es ein wenig hilflos im Untertitel. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis bestätigt, dass hier kein kohärentes, unter einem Genrebegriff zu subsumierendes Repertoire verhandelt wird. Und dennoch erscheint es keineswegs abwegig, dass die Freejazzer Cecil Taylor und Peter Brötzmann, der linksradikale Komponist Cornelius Cardew, der Laptopmusiker Christian Fennesz und die Rockband Godspeed You Black Emperor etwas gemeinsam haben könnten. Die hier versammelten Musiker und Komponisten weichen von etablierten Referenzsystemen ab, ohne sie außer Kraft zu setzen. Sie vertreten – auch wenn das nach einem Widerspruch in sich klingt – eine Art postmoderner Avantgarde.

Felix Klopoteks Buch „how they do it“ versammelt Essays und Artikel, die zwischen 1996 und 2002 entstanden. Sofern hier ein Repertoire vorgestellt wird, über das noch kaum etwas und bestimmt nichts Kluges geschrieben worden ist, und sofern der Verfasser keinen Hinweis auf wichtige Tonträger, ihren Entstehungszusammenhang und ihre Wiederveröffentlichungen auslässt, ist man mit diesem Buch auf der Sonnenseite der Musikografie. Allerdings wird ein Spex-Artikel über Jim O’Rourke dadurch, dass man ihn in einem Buch platziert, nicht zum Baustein einer zusammenhängenden Theorie. Und eine griffige und umfassende These fehlt diesem Buch leider – auch wenn Klopotek sich bemüht, den Gestus der Improvisation zum zentralen Ausgangspunkt seiner Überlegungen zu erheben.

Trotzdem lohnt sich die Lektüre. Denn es geht dem Verfasser – und das ist alles andere als selbstverständlich – um die Musik selbst. „Du hast offensichtlich einen inhaltlichen, vom Material ausgehenden Zugang zu dieser Musik“, macht David Grubbs seinem Gesprächspartner klar und trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Hier werden weder Anekdoten zum Mythos verklärt, noch werden Biografien in den Stand der musikalischen Essenz erhoben. Die Musik selbst ist Gegenstand der Diskurses.

So gelingt es Klopotek, das in der Musik sonst eher lästige Begriffspaar abstrakt/konkret auf funktionale Kontexte zu beziehen. Und dann ist plötzlich klar, warum man einen Techno, der auf euphorisierende Elemente verzichtet, als abstrakten Techno bezeichnet. Und warum Jazz, der auf verhaltenen Geräuschklängen basiert und der Kraft, Ursprünglichkeit und Rhythmus vermeidet, abstrakter Jazz genannt zu werden verdient.

Ebenso überzeugend erklärt Klopotek eine vorgegebene Klangvorstellung, einen bestimmten Sound, zur Ideologie, zum notwendig falschen Bewusstsein des Instrumentalisten, und jede Abweichung folgerichtig zur Ideologiekritik. Dass diese Erkenntnis nicht auf das Idiom des Freejazz selbst anwendet wird, ist allerdings eines der großen Versäumnisse dieses ansonsten guten Buches.

Ärgerlich ist „how they do it“ dort, wo die ohnehin oft suggestive Argumentation in den Dienst einer knalligen Thesenbildung gerät. Die meisten Texte sind unter dem journalistischen Druck entstanden, und viele der Gedankengänge wirken flüchtig.

Es ist zum Beispiel durchaus fahrlässig, die klassische Musik der Fünfzigerjahre mit Karlheinz Stockhausen gleichzusetzen, sie dann mit dem Hinweis auf dessen Wahnvorstellungen insgesamt zu diskreditieren, um schließlich den Komponisten Cornelius Cardew als Integritätsfigur herauszuheben.

Darüber hinaus kollidiert eine betont flotte Schreibe beständig mit sprachlichen Ungetümen und blanken Floskeln. Der Song sei in den Händen Eugene Chadbournes kein „fetischistisches Ding“. Fetisch hätte es wohl auch getan. Free Jazz sei Musik, „die spontan begeistert“. Welche Musik ist das nicht? Dass außerdem bei der Korrektur geschlampt wurde und es von Fehlern nur so wimmelt, erhöht das Lesevergnügen leider auch nicht.

BJÖRN GOTTSTEIN

Felix Klopotek: „how they do it“. Free Jazz, Improvisation und Niemandsmusik. Ventil Verlag. Mainz 2002. 3-9350599-75-7. € 13,90