der angstschweiß der chefsorte mensch von WIGLAF DROSTE
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Vor knapp sechs Jahren bekam ich eine Einladung zu den WDR- „Mitternachtsspitzen“. Ich war bereits ein paar Jahre vorher in dieser Fernsehsendung zu Gast gewesen, hatte davon keine schlechte Erinnerung zurückbehalten, der Termin passte, das Honorar war gut, also sagte ich gern ein zweites Mal zu.

Zum Vortrag kommen sollte in Köln auch ein Gedicht, das von Joseph Kardinal Ratzingers Forderung inspiriert war, „die Menschheit“ solle „der Botschaft Jesu Christi treuer und ähnlicher“ werden. „Doch ich sage nur: Wohlan / Ratzinger, geh du voran / Du willst sein wie Jesus Christus? / Nimm den Hammer, und dann bist du’s / Vergiss die langen Nägel nicht / Denn du bist kein Leichtgewicht / Vorbildlich für Alt und Jung / ist die Eigenkreuzigung“, hatte ich unter anderem gedichtet, und die Redaktion hatte keine Einwände geäußert.

Am Aufnahmetag sah die Sache anders aus. Wer für den WDR arbeitet, wird irgendwann mit der Tatsache vertraut gemacht, dass der Kölner Dom und das Kölner Funkhaus nicht zufällig sehr nah beieinander stehen. Der WDR gilt als vergleichsweise liberale Rundfunkanstalt und mag das in politischen Fragen sogar sein – in kirchlichen Angelegenheiten aber ist der WDRler stiekum, krüsch und klamm. Hier wirft der Kardinal noch ungehindert seinen schwarzen Schatten, und die katholischen Rundfunk- und Fernsehratsmitglieder liegen rund um die Uhr in den Startlöchern, um zu rügen, was ihnen nicht frommt.

Die Redaktion der „Mitternachtsspitzen“ hatte kalte Füße bekommen. Statt aber freundlich darüber zu sprechen, ob man nicht Ärger aus dem Weg gehen könne, wollte man die Sache argumentfrei regeln, administrativ. Eine mir unbekannte WDR-Redakteurin schoss auf mich zu. Sie stellte sich nicht vor, sondern hielt mir ihren Zeigefinger fünf Zentimeter vor die Nase und schrie: „Den Text liest du nicht!“ Ich habe nicht den Kriechdienst verweigert, um mich im Zivilleben von Kasernenton belästigen zu lassen. Ich versuchte es höflich, stellte mich vor und bat die enragierte Frau eindringlich: „Bitte nehmen Sie Ihren Finger aus meinem Gesicht. Und bitte duzen Sie mich nicht.“ Es war zwecklos. Die Frau war in Panik, duzte, befahl und stocherte weiter mit dem Finger, und als ich auf die Bühne ging, rief sie noch: „Dir dreh ich den Saft ab!“ Das tat sie dann auch, und so kam es im Fernsehn zu einer Bild- und Tonstörung. Nach der Sendung stürmte ihr Abteilungsleiter zu mir, auch einer, den ich nicht kannte, und herrschte mich an: „Jetzt bist du wohl stolz, dass du eine Existenz vernichtet hast! Und morgen läufst du zur Presse und machst dich als Zensuropfer wichtig!“ Es war die übliche Infamie: sich schäbig benehmen und anschließend behaupten, es sei genau umgekehrt gewesen. Ich ging einfach aus dem Raum.

Dumm sein und bellen können ist nicht wirklich faszinierend, doch beides zählt elementar zu dem, was unter Chefs als Kompetenz gilt. Was uns aber vor allem auf Distanz gehen lässt zur Chefsorte Mensch, ist der stechende Geruch nach Angstschweiß, der sie umgibt.