: Rede und Antwort
In Angelsachsen völlig unbekannt, in Deutschland an der Tagesordnung: das „Autorisieren“ von Gesprächen – es fehlt eine „Kultur des Interviews“
VON SIEGFRIED WEISCHENBERG
Zum Weihnachtsfest beglückten uns Spiegel und Süddeutsche Zeitung mit einem „Exklusiv-Interview“, das ihnen der in die Jahre gekommene Filmstar Omar Sharif („Doktor Schiwago“) gewährt hatte. Im einem Fall erfuhren wir, dass Älterwerden nicht so toll ist – was unsereiner gut nachvollziehen kann. Im anderen Fall teilte der ehemalige Bridge-Weltmeister und Pferdenarr mit, dass er überall ein Fremder ist – was wir Skatspieler und Fußballfans auch irgendwie verstehen.
Warum wir das aber wissen müssen, erfahren wir nicht. Einen guten Grund für die Interviews hat nur Sharif: Sein neuer Film kommt in die Kinos und muss beworben werden.
Interviews sind Verkaufsgespräche. Erstens präparieren PR-Leute ihre Schützlinge so nachhaltig, dass sie nur noch Gestanztes von sich geben. Und zweitens werden die Aussagen von Interviewpartnern (aus Politik und Wirtschaft) nachträglich von fleißigen, verantwortungsbewussten Mitarbeitern, die man in Ministerien „Referenten“ nennt, auf Stromlinie gebracht.
Wenigstens beim Ritual der „Autorisierung“ ist Deutschland weltweit führend. Was bei uns zur Unsitte geworden ist, wäre zumindest in angelsächsischen Ländern undenkbar. Dort ist das „geformte Interview“, also der gedruckte Wechsel von Frage und Antwort, ohnehin die Ausnahme. Journalistische Gespräche dienen in erster Linie der Recherche; daraus wird ein eigenes professionelles Produkt. Interviews führt man vorwiegend mit herausragenden Personen wie etwa Spitzenpolitikern, und dann gilt das gesprochene, aufs Band gebannte Wort. Gesagt ist gesagt.
Hierzulande arbeiten beim Interview die Gladiatoren und ihre Propagandisten für denselben Zirkus. Beide haben Angst, vom Seil zu fallen. Die einen, weil sie offenbar vor den Folgen ihrer ernst gemeinten Sätze zurückschrecken, die anderen, weil ihre Sachkompetenz oft nicht ausreicht, um Fragen und Antworten auf den Punkt zu bringen. Das Genre Interview droht zu einer sterilen „Kunstform“ zu verkommen. Dies gilt auch für die Fälle von gedrechselten Antworten, bei denen Medium und Partner allzu offensichtlich an der Originalitäts-Schraube gedreht haben. Etwa, wenn die Zeit zur Elitediskussion das Scheininterview mit einer Supermarktkette beisteuert, die ein gleichnamiges Produkt („elite Joghurt mild – Orange mit geraspelter Schokolade“) offeriert (Frage, haha: „Braucht man nicht eine besondere Kultur, um eine Elite zu schaffen?“). Das Interview als Scherzartikel. Erstaunlich, dass sich dennoch hin und wieder Banker um Kopf und Kragen reden (Breuer, Ackermann).
Hier ist etwas aus dem Ruder gelaufen. Die Täter sind Medien, die Interviewpartner frustrieren, und Machtmenschen, die über alles die Kontrolle behalten wollen. Was Werner Funk, der frühere Spiegel- und Stern-Chefredakteur, über die Presse insgesamt sagt, kann man auch auf die Darstellungsform „Interview“ beziehen: „Das Gewerbe ist im Arsch!“
Feiner ausgedrückt: Uns fehlt eine „Kultur des Interviews“, bei der man sich auf vernünftige Regeln über den Umgang mit dem gesprochenen Wort einigt. Die taz hat vorgemacht, wie man’s macht. Nämlich: Lieber die Seite schwärzen, als das gekürzte Öde von Scholz zu drucken.
Es fehlt allerdings auch eine (wissenschaftliche) Lehre des Interviews, die ernst genommen werden kann. Also so ungefähr das Gegenteil von dem, was uns im „Fischer Lexikon Publizistik Massenkommunikation“ empfohlen wird. Da schreibt Kurt Reumann, inzwischen pensionierter Redakteur der FAZ, man glaubt es kaum: „Das Interview soll keine Vergewaltigung sein, sondern höchstens ein Zweikampf, ein fairer Zweikampf.“
Der Autor ist Professor für Journalistik und Teilnehmer am „Runden Tisch zum Umgang mit Interviews“, bei dem heute auf Einladung der taz Betroffene aus Politik und Presse beraten: „Brauchen Politiker und Journalisten neue Regeln des Umgangs miteinander?“