Der Architekt und die Stadt

Josef Paul Kleihues wird 70. Der frühere IBA-Direktor hat das Bewusstsein für das historische Berlin geschärft, ohne ihn wäre Kreuzberg heute eine Autobahntrasse. Eine große Werkausstellung ehrt ihn

Kleihues plädiert für die Wiederkehr des Städtischen in der Architektur

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Als die taz in der Mitte der 90er-Jahre eine Reihe über die Neubauten in der Stadt und die Probleme der Stadtplanung im wieder vereinigten Berlin unternahm, lud sie Architekten ein, über die zukünftige Entwicklung der Stadt zu sprechen. Der Trick bei der Sache war, dass die Damen und Herren sich nicht über die eigenen Bauten, sondern zu denen ihrer Kollegen auslassen sollten – also Hans Kollhoff etwa zu den Häusern im Botschaftsviertel oder Daniel Libeskind zum Alexanderplatz und Ostberlin et cetera.

Josef Paul Kleihues, Architekt und einstiger Direktor der Internationalen Bauausstellung (IBA), machte auch mit. Allerdings mit einer Einschränkung: Er wollte nur seine eigenen Architekturen und sein Spielfeld, die Friedrichstadt, unter die Lupe nehmen. Niemand könne das besser als er selbst, war sein Argument. Und nach dem Rundgang entlang der Friedrichstraße und vorbei an seinem dreieckigen Gebäude am Checkpoint Charlie, dem Block 208, genannt „Hofgarten“ am Gendarmenmarkt, und dem Four-Seasons-Hotel bis hinauf zu den Linden mit Blick auf die Häuser „Sommer“ und „Liebermann“ am Brandenburger Tor war klar, der Architekt Kleihues ist sein bester Kritiker. Natürlich im positiven Sinne.

Heute wird Kleihues 70 Jahre alt, und im Hamburger Bahnhof, den er rekonstruiert und zum Museum für Gegenwart ausgebaut hat, lassen die Ausstellungsmacher ab morgen sein Berliner Schaffen – und speziell jenes entlang der Friedrichstraße – Revue passieren. Gezeigt werden rund 300 Pläne und Skizzen für Planungen und Bauten in der Stadt, aber auch die historischen Bezüge seiner Arbeiten – die die preußischen Architekturstars von Schinkel über Alfred Messel bis zu Hans Poelzig zum Vorbild haben. Kleihues hat immer selbstbewusst die Analogien seiner Bauten aus der „Zeit der Aufklärung und des Humanismus bis zur klassischen Moderne“ in den Vordergrund gestellt. Seine Häuser sollten der Geometrie und einer Klarheit verpflichtet, die Bauwerke gut gemacht und von schöner Handwerklichkeit sein. Schließlich sollten das Haus, die Straße und das Umfeld einer inneren, zusammengehörenden Ordnung gehorchen. Das „großstädtische“ Berliner Haus, sagte Kleihues einmal, ist ein Teil des Blocks, der Straße, der typischen städtischen Architektur. Ein Gesamtkunstwerk also.

Dass Anspruch und Wirklichkeit dabei nicht immer in Einklang standen, hat den Theoretiker der „kritischen Rekonstruktion“ – des Bauens mit modernen Mitteln und „poetischer Interpretation“ innerhalb des historischen Stadtgrundrisses – natürlich niemals gestört. Gerade Kleihues’ Stadtentwicklungspläne im Rahmen der IBA 1984 bis 1987 zur Rekonstruktion der südlichen Friedrichstadt zeigen heute, dass Kleihues kein wirklich metropolitaner Stadtplaner ist.

Sind seine Hauptwerkstadt für die BSR in Tempelhof (1969 bis 1978), das Krankenhaus in Neukölln (1973 bis 1986) und das Kant-Dreieck (1984 bis 1994) noch Fortentwicklungen der Industrie- und Großstadtarchitektur aus dem Berlin der Jahrhundertwende um 1900, bleibt die Rekonstruktion Kreuzbergs und der Friedrichstadt zum Teil bieder, manchmal zu zögerlich und teilweise klischeehaft. „Was haben Sie dort gebaut?“, fragte ihn einmal Hanno Klein, bis zu seiner Ermordung 1991 Chef der Planungsabteilung beim Bausenator. „Nur Provinz!“

Dennoch ist Kleihues etwas von großem Wert gelungen: Das zerklüftete Berlin der Nachkriegszeit und die Pläne für die verkehrsgerechte Stadt in den 60ern haben den historischen Stadtgrundriss und zugleich das Bewusstsein für diesen, für die Stadt als Körper, für Urbanität und Dichte zerstört. Kleihues war der Erste, der gegen das „Verlöschen der Stadt“ (Wolf Jobst Siedler) auftrat und für die Wiederkehr des „Gedächtnisses der Stadt“ – seine steinerne Physiognomie und seinen Grundriss – plädierte. Kreuzberg, Wedding oder Mitte wären heute andere ohne ihn.

Seit ein paar Jahren ist es stiller geworden um den sprachgewaltigen Architekten, der 1933 in Rheine (Westfalen) geboren wurde und der – neben seinem Büro in Berlin – noch in Dortmund Architekturtheorie lehrte. Kleihues hat zwar in Chicago das Museum für Zeitgenössische Kunst (1991 bis 1996) gebaut. An den großen Planungen für das Regierungsviertel nahm er nicht mehr teil, ebenso nicht mit Bauten oder Plänen für den Potsdamer Platz. Der große Wurf ist ausgeblieben, auch der Ruf eines Staatsarchitekten – wie bei Günter Behnisch. Das macht nichts. Congratulations aus der taz – auch ein Ergebnis der IBA Kleihues.