Die Unterschrift des Bürgers Wulff

Eine Rettungsaktion für eine Stadtteilbibliothek in Hannover hat ein politisches Nachspiel. Weil der Ministerpräsident angeblich einem Kommunisten aufgesessen ist, gerät die SPD in die Bredouille

Die Aktion zur Rettung der Bibliothek im hannoverschen Stadtteil Linden läuft wie geschnitten Brot: Ted Herold, Udo Lindenberg, Klaus Meine und Lilo Wanders haben schon, wie weitere 24.000 Leseratten unterschrieben: „Die Bewegung“ reiche „inzwischen bis Neuseeland und Rio de Janeiro“, sagt BI-Mitbegründer Matthias Wietzer.

Eine Unterschrift sorgt für politische Unwuchten. Neben Rockern und Diven verewigte sich am Nikolaustag auch Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Dass die Staatskanzlei später angab, Wulff habe nicht als Regierungschef, sondern als „Bürger“ unterzeichnet, alarmierte die Sozialdemokratie. „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“ betitelte SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner eine parlamentarische Anfrage, in der er einen Keil zwischen dem Citoyen und dem „MP“ Wulff zu treiben versucht. Wie es Wulff möglich sei, formulierte Jüttner, als „Bürger“ für die Bibliothek zu sein, während die Kürzungen vom „Kabinett Wulff“ dafür verantwortlich seien, dass der Stadt Hannover das Geld für Büchereien ausgehe.

Zudem wollte Jüttner wissen, wie es die Landesregierung bewerte, „dass der Bürger Wulff mit einem Kommunisten gemeinsame Sache macht, während die Landessregierung unter dem Ministerpräsidenten Wulff die DKP für verfassungswidrig hält?“ Dass Wulff, so Jüttner, „von einem aktiven DKP-Funktionär“ zur Unterschrift gebeten worden ist, brachte den Genannten inzwischen ganz schön auf die Palme. „Schier entsetzt“ ist Sammler Harald Fitschen über das jüttnerische Diktum. Dass er „als engagierter Bürger, der keiner Partei angehört und langjähriger Wähler der SPD war“, vom Chefsozi als Kommunist bezeichnet wurde, verschlägt ihm „die Sprache“. Zudem verwundere es, warum Jüttner, SPD-Direktkandidat in Linden, noch nicht unterschrieben habe.

Am Freitag antwortete Wulff dem Oppositionsführer. Das Schreiben ist genauso unverschämt wie die Fragen. Neun Millionen Bücher gebe es in den Bibliotheken Niedersachsens, der Ministerpräsident zeige „persönliche Begeisterung für Literatur“ und unterstütze Schmökerfans, wo er nur könne. Wulff könne nichts für den klammen Etat der SPD-geführten Landeshauptstadt und bedauere es „außerordentlich“, dass Hannover die Bibliothek dichtmachen wolle. Niedersachsen dagegen habe seinen Etat saniert.

„Hoffnungsfroh“, schließt das Schreiben: „Die Anleihe auf Richard David Prechts Buch ‚Wer bin ich – und wenn ja, wie viele‘, zeigt zumindest eines: Die Literatur- und Leseförderung des Landes Niedersachsen greift!“

KAI SCHÖNEBERG