Welche Kleidung Jehova vorzieht

Im Velodrom treffen sich an diesem Wochenende etwa 8.000 Zeugen Jehovas zu ihrem jährlichen Bezirkskongress. Es geht um Gottes leitende Hand, die Endzeit, die seit 1914 schon angebrochen ist – und um die Frage, ob man das Internet nutzen darf

VON FLORIAN HÖHNE

Schon in der S-Bahn fallen sie auf: pflichtbewusst lächelnde Männer in ordentlichen Anzügen und nicht weniger lächelnde Frauen in knöchellangen Kleidern – manche blumig bunt, andere schlicht gräulich. Alle tragen ein Namensschild auf der rechten Brust: „Wandelt mit GOTT“ in weißen Lettern auf hoffnungsgrünem Grund. Landsberger Allee steigen sie aus und ziehen mit Kind und Bibel ins Velodrom – zum jährlichen Bezirkskongress Norddeutschland der Zeugen Jehovas.

Sonst sieht man die Zeugen zu zweien in der Fußgängerzone, die Zeitschriften Erwachet und Wachtturm in die Sonne haltend. Missionierend ziehen sie von Tür zu Tür. Nicht bloß zwei, sondern 8.000 Zeugen Jehovas haben sich dieses Wochenende im Velodrom versammelt, um in einem Vortragsmarathon zu erfahren, wie man das macht: mit Gott zu wandeln. Stolz erzählt einer, dass dieser Kongress für Taubstumme auch in Gebärdensprache übersetzt werde.

So verstehen sicher alle, worum es geht. Um Kleidung zum Beispiel: Die meisten würden sich ja heute schlampig kleiden, klagt der Bezirksleiter Rainer Hinz von der Blumen-umstellten Bühne der Radrennhalle. Über ihm hängt riesig der vom Namensschild vertraute Schriftzug. Die Gläubigen sollten sich gut kleiden und gut benehmen, predigt Hinz: nicht zu tiefer Ausschnitt, nicht zu hauteng, bescheiden. Die Bilder im Wachtturm seien gute Beispiele: „Solche hübschen Kleider könnt ihr tragen.“ Sauber sei man vorbereitet auf den Empfang Jehovas.

Erstaunlich still ist es in der vollen Halle, während vorne ein Vortrag dem anderen folgt – dreieinhalb Stunden ohne Pause. Ein rund achtjähriger Junge schreibt fleißig mit – sein Vater auch. Es geht um tadellosen Lebenswandel. Wie ein Vater sein Kind an der Hand führe und anleite, so nehme auch Jehova, der himmlische Vater, die Glaubenden an die Hand und führe sie, sagt Hinze. Diese Anleitung nimmt konkrete Formen an, zum Beispiel: „Wie dürfen Zeugen Jehovas das Internet nutzen?“

Die leitende Hand ist buchstäblich gemeint: Die Zeugen Jehovas sind streng hierarchisch organisiert. Was rechte Lehre und tadelloser Lebenswandel ist, schreibt die so genannte Leitende Körperschaft in Brooklyn, New York, vor. Diese sieht sich als „Verbindungskanal Jehovas“ und steht der Wachtturm-Gesellschaft vor, die unter anderem den Wachtturm und Erwachet herausgibt.

Die weltweit agierende Religionsgemeinschaft geht auf den US-Amerikaner Charles T. Russel zurück, der das Weltende zuerst für 1872/73 voraussagte – dann aber auf 1874 vorschob. Als auch dieses Jahr verstrich, gründete er einen Bibelstudienkreis – die so genannten Ernsten Bibelforscher, die späteren Zeugen Jehovas. Neuer „Tipp“ für den Weltuntergang war 1914, was noch heute eine wichtige Rolle spielt: Seit 90 Jahren lebten die Zeugen in turbulenten Zeiten, predigte Horst John im Velodrom. Die von Jehova prophezeite Endzeit sei angebrochen. Gerade jetzt müssten Jehovas treue Zeugen der Welt widerstehen und „mit Gott wandeln“, predigt John, lauter werdend. Bald werde Jehova die Menschheit richten und strafen.

Das gut gekleidete Publikum wird lebendiger, applaudiert. „Wir aber gehen den rechten Weg des Herrn“, ruft John enthusiastisch. Näheres darüber erfahren Sie, wenn es das nächste Mal an Ihrer Tür klingelt.