„In zehn Jahren arbeitet jeder für 5 Euro“

Für Ärzte, Bauarbeiter oder Friseure soll es künftig leichter werden, im europäischen Ausland zu arbeiten. So will esdie EU – und vergrätzt damit viele Gewerkschaftler. Diese protestieren in Brüssel. Was sie fürchten? Dumpinglöhne!

BRÜSSEL taz ■ Klaus Roth ist sauer: „Die in Brüssel machen sich keine Gedanken über die Leute. Das macht mich wütend.“ Der 39-Jährige schuftet seit 22 Jahren als Straßenbau-Arbeiter. Am gestrigen Morgen ist er aus Bärenbach im Hunsrück in die EU-Hauptstadt gereist. Sieben Stunden war er unterwegs, um dann bei ein paar Grad über null mit bis zu 1.400 europäischen Bau-Gewerkschaftlern vor dem Brüsseler Ratsgebäude zu demonstrieren.

Vier Holländer mit roten Helmen führen den Zug an. Sie tragen einen Sarg – und damit den Bau symbolisch zu Grabe. Die Demonstration gilt vor allem einem, der seit dieser Woche in Brüssel nichts mehr zu sagen hat: Dem ehemaligen EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein. Er hatte im Januar ein Gesetz vorgeschlagen, mit dem alle Anbieter von Dienstleistungen leichter im europäischen Ausland arbeiten können sollen. Über die Richtlinie, die in ganz Europa die Gemüter erhitzt, beugten sich gestern in Brüssel erstmals Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und seine EU-Kollegen.

Die Idee: Ein Frisör aus Ungarn soll künftig auch in Frankreich Haare schneiden dürfen, und eine deutsche Ärztin in Norwegen eine Praxis aufmachen – und das, ohne Sozialversicherungsnachweise oder Arbeitsverträge vorzulegen. Die Regelung betrifft viele: Im Dienstleistungsbereich arbeiten EU-weit 70 Prozent aller Beschäftigten.

Allerdings steht in der Richtlinie eine Klausel, die nicht nur Bauarbeiter, sondern auch die Globalisierungskritiker von Attac auf die Barrikaden bringt: Das „Herkunftslandprinzip“. Damit sollen Altenpfleger, Baufirmen oder Händler ihre Dienste auch im Ausland nach den Vorschriften ihres Heimatlandes anbieten können. Für die IG BAU ist klar: Europa droht ein beispielloser „Dumpingwettbewerb“.

Denn ein polnisches Unternehmen wäre weder an deutsche Mindestlöhne noch Vereinbarungen zur Arbeitszeit gebunden. Auch die Kontrolle soll bei den Heimatländern der Anbieter liegen. Doch wie sollen polnische Behörden Verstöße in Deutschland überwachen? Der Chef der Gewerkschaft IG BAU, Klaus Wiesehügel, warnte Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern vor der „Frankenstein-Richtlinie“: „Sie führt nicht zu besseren, sondern überall zu schlechteren Verhältnissen.“

Buhmann ist für die Bauarbeiter auch Wolfgang Clement. Der verspricht sich von dem Gesetz einen stärkeren Wettbewerb zwischen Dienstleistern. Ein „Wettbewerb nach unten“ sei das, betont die IG BAU. Von einem drohenden „Sozialabbau“ spricht Attac. Allerdings sieht auch Clement ein, dass es stärkere Kontrollen geben muss – zumal auf dem deutschen Bau, der durch Schwarzarbeit und Konjunkturflaute gebeutelt ist und dem allein in diesem Jahr 44.000 Jobs verloren gegangen sind.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Im Sommer 2005 kommt die Richtlinie ins Europaparlament. Attac will die Abgeordneten mit einer Briefaktion auf die Schwachstellen hinweisen. Sollte das Gesetz dennoch kommen, ist für Klaus Roth klar, was droht: „In zehn Jahren geht dann jeder für 5 Euro arbeiten.“

STEPHANIE LOB