PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH
: Sympathy for the debils

Die Psychiatrie ist die letzte Zufluchtsstätte. Die Idioten sitzen nämlich nicht drinnen, sondern draußen

Dass ich selbst ein Fall für die Psychiatrie wäre, behaupten andere, nicht ich. Mich interessieren die geschlossenen Abteilungen nur aus Neugier. Wie die Patienten den Tag verbringen, was sie untereinander reden, wie die Ärzte reagieren, wenn eine schwäbische Hausfrau behauptet: „Ich bin Ladi Di und verlange, sofort mit der Queen zu sprechen!“ Gerne wäre ich einmal eine Woche lang zu Gast.

Meine Freundin Kerstin, Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik, sagt, reinkommen sei ganz leicht. „Geh zu deinem Hausarzt und sag, dass du von morgens bis abends nur noch an Selbstmord denkst. Und schwupp, biste drin.“

Kurz habe ich mir das wirklich überlegt. Der Mann, der in der Klinik Hans Esser war. Aber dann sagte glücklicherweise doch noch jemand zu mir: „Du Arschloch, es muss doch noch irgendwo geschützte Räume geben, wo ihr Journalisten nicht hinkommt.“

Iss ja gut. Ich lass es ja auch sein. Aber allein die Vorstellung, ich säße mit Max Strauß oder Sebastian Deissler am Frühstückstisch und hinterher im Gruppenraum, und wir würden diskutieren, ob die Abteilung ihren wöchentlichen Mittwochsausflug nach Schloss Schwanstein oder doch lieber in den Tierpark Hellabrunn machen soll – allein diese Vorstellung euphorisiert mich dermaßen, dass ich fast wieder schwach werde.

Sympathy for the debils – ich kann gar nicht sagen, wie viel sympathischer mir Max Strauß geworden ist, seit er sich in psychiatrische Behandlung begeben hat. Und Sebastian Deisler, Profifußballspieler und daher grundsätzlich der Idiotie verdächtig, hat seit seiner eingestandenen Depressionen bei mir 100 Paybackpunkte gesammelt. Wenn ein Mensch von einem auf den andern Tag nicht mehr das tut, was andere von ihm erwarten, hat das den allergrößten Respekt verdient. Ich selbst schaffe das nicht. Einfach nicht mehr funktionieren.

Mein Vater erzählte beim Mittagessen manchmal die Geschichte von seinem Patienten, der Metzger war und doch so Mitleid mit den Tieren beim Schlachten hatte. Irgendwann, nach vielen Behandlungsstunden, schloss der Metzger von einem Tag auf den anderen seinen Laden und wurde Bierfahrer. Seit dem ging es ihm gut.

Ich kenne also den Blick, wenn man erzählt, dass man beim Psychologen in Behandlung ist. War schließlich zwangseingewiesen als Sohn eines solchen. Zwanzig Jahre auf der Couch sozusagen. Ein wenig Mitleid mischte sich meist mit Neugier und dann die immer gleiche Frage: „Stimmt es, dass alle Psychiater selbst ein wenig gaga sind?“ – „Stimmt“, antwortete ich, um das Weltbild des Fragestellers nicht zu erschüttern. Denn die Erschütterung des Weltbilds, hatte mir Papa erzählt, kann zu schweren psychischen Schäden führen.

Die wahren Idioten sitzen draußen. Vor der Anstalt. Oder ist Bild-Reporter Otto Greitner etwas anderes als ein armer Irrer, der nun schon seit drei Wochen vor der Psychiatrie in München herumlungert, um Sebastian Deisler ein Interview abzupressen? Gestern ist es ihm endlich gelungen, und er stellte die unvermeidliche Frage: „Sebastian, wie geht es dir?“ Und dir Otto?, möchte man fragen. Alles in Ordnung mit deiner Psyche? Keine Orgasmusschwierigkeiten?

Früher waren die hohen Mauern um die „Nervenheilanstalten“ dazu da, die Außenwelt vor den vermeintlich gefährlichen Wahnsinnigen zu schützen. Heute ist es umgekehrt. Die Psychiatrie ist der letzte geschützte Zufluchtsort in einer verrückten Welt. Dort ungefragt einzudringen ist so unanständig, wie einen altersdebilen Harald Juhnke mit einem Teddybären im Arm abzulichten. Kümmern wir uns lieber um die psychiatrischen Fälle, die noch vor der Einlieferung stehen, um unsere Schröders, Fischers, Gersters und Schills, deren Gotteskomplex dringend der Behandlung bedürfte. Und um uns selber.

Philipp, wie geht es dir?

Fragen zu Otto Greitner? kolumne@taz.de Morgen: Albert Hefele – FRAU MERKLE