Großmütter gegen Big Brother

Die Autos stehen, Agneta singt, undHelen sagt: „Ich fühlemich erfrischt“

AUS MENWITH HILL UTE SCHEUB

Agneta Norberg ist eine Oma aus dem Bilderbuch: Die blonde Lehrerin im Ruhestand verteilt gerne Pfefferkuchen und erzählt am liebsten lustige Anekdoten. Doch an diesem Adventswochenende geht ihre Enkelin leer aus. Die gemütliche Großmutter hat eine Menge ungemütlicher Umstände auf sich genommen, um an einer Frauenblockade gegen die größte US-Spionageanlage der Welt teilzunehmen. Diese steht auf Menwith Hill im englischen Yorkshire, und die 66-jährige Vizepräsidentin des Schwedischen Friedensrates ist extra aus Stockholm angereist, um sich hier die Füße abzufrieren. „Menwith Hill geht nicht nur die Briten etwas an“, sagt Agneta, „sondern alle, die etwas gegen die US-Vorherrschaft haben.“

Ihre Freundin Helen John sieht das ganz genauso. Helen ist ebenfalls 66, ebenfalls blond, ebenfalls Großmutter und ebenfalls Vizepräsidentin. Aber nicht in Schweden, sondern von der britischen Friedensorganisation „Campaign for Nuclear Disarmament“ (CND). Die frühere Krankenschwester und Hebamme hat ihr Leben dem gewaltfreien Widerstand gegen Atomwaffen verschrieben.

Wie viele Male sie wegen Blockaden oder anderer Aktionen schon festgenommen wurde, seit sie vor 22 Jahren gegen Atommüll zu prostieren begann, kann sie nicht mehr sagen. Irgendwas zwischen 30- und 40-mal. Immer wieder wurde sie verurteilt, und weil sie die Geldstrafen nicht zahlte, saß sie immer öfter und immer länger auch im Knast. Angst davor hat sie nicht. „Ach was“, sagt sie und macht eine wegwerfende Handbewegung, „ich war schon immer ziemlich frech und sehr, sehr neugierig. Ich kümmere mich nicht um diese blöden Gesetze.“

Auf Menwith Hill gibt es keine Atomsprengköpfe, und dennoch gehöre diese Basis zu den wichtigsten Zentren für die US-Kriegsführung, sagt Helen John. Sie wohnt in der Nähe der Basis und koordiniert seit Jahren den Widerstand. Früher hat sie im Camp von Greenham Common gelebt, wo im Dezember 1983 rund 30.000 Frauen gegen die Stationierung der Cruise Missiles demonstrierten. Nach diesem Vorbild baute sie zehn Jahre später ein „WoMenwith Hill“-Camp in der Nähe des Haupteingangs von Menwith Hill auf. Immer wieder schnitten die Frauen Löcher in den Hochsicherheitszaun, drangen in die Basis ein, klauten Dokumente, bewarfen die riesigen Satellitenschüsseln mit Modder. Viele Male wurden die hochgerüsteten Sicherheitsspezialisten der Basis bis auf die Knochen blamiert, und die Frauen schüttelten sich vor Lachen. Bis sie 1998 ein Gericht auf Betreiben der US-Behörden dazu verdonnerte, ihre Caravans abzuschleppen. Seitdem ist das Campen nur noch bedingt erlaubt.

An diesem kalten Adventssonntag, fast genau zwanzig Jahre nach dem legendären Höhepunkt von Greenham Common, sind sechs Zelte auf einem schmalen Grasstreifen längs der Landstraße aufgeschlagen. Zwei Dutzend Frauen versuchen sich an einem kleinen Holzfeuer zu wärmen. Eine Oma aus Deutschland, mehrere Großmütter aus der Umgebung, auch einige junge Frauen aus Manchester und London – Überzeugungstäterinnen, die sich freiwillig frostig-steife Finger holen, während andere Menschen im Warmen vor dem Adventskranz sitzen.

Im Gras liegt ein Plakat: „Bush und Blair – das perfekte Paar für wechselseitige Abtreibung“. „Es macht mir Spaß, die Leute direkt zu beschimpfen“, sagt Oma Helen lächelnd, während sich Oma Agneta die selbst gestrickte Mütze fester über beide Ohren zieht.

Hinter ihrem Rücken erhebt sich ein Teil der Basis. 30 gigantische weiße Golfbälle, die die Hochebene verunzieren und von einem Doppelsicherheitszaun mit Stacheldraht und Infrarotkameras umzingelt werden. Parabolspiegel empfangen Signale von Fernmeldesatelliten und senden sie an Großrechner weiter, die nach Schlüsselwörtern und ganzen Wortgruppen suchen. Auf diese Weise werden „verdächtige“ E-Mails, Faxe und Telefonate des gesamten eurasischen Raumes vollautomatisch aufgefangen und nach Bedarf von Hand analysiert. Bin Laden. Fidel Castro. CIA. Lockheed Martin. Das alles sind Schlüsselwörter, die dafür sorgen, dass wahrscheinlich auch dieser Text im Meer der Informationen auffallen wird.

Agneta, die fröhliche Oma aus Stockholm, hat eine Nase für diese versteckten Geheimnisse. Sie weiß viel, und sie weiß auch, wo noch weitere wichtige US-Basen stehen. Im neuseeländischen Waihopia zum Beispiel, oder im bayrischen Bad Aibling. Diese Anlage soll im Jahr 2004 geschlossen und die Mitarbeiter nach Menwith Hill verlegt werden. Helen regt das richtig auf. Sie würde gerne eine Kampagne dagegen organisieren „Sollen sie doch in die USA zurück! Wir wollen sie hier nicht haben!“, schimpft sie.

Menwith Hill, Waihopia oder Bad Aibling gehören zum weltweiten elektronischen Abhörsystems „Echelon“, das von den USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland gemeinsam betrieben wird – wobei allein die USA Zugriff auf alle Daten haben. Der britische Journalist Duncan Campbell hat herausgefunden, dass „Echolon“ bereits seit den Siebzigern die gesamte Kommunikation der westlichen Staaten überwacht. In diesen und in späteren Jahren seien unter anderem die Vietnamkriegsgegnerin Jane Fonda, die Wohlfahrtsorganisation „Oxfam“ und hohe geistliche Würdenträger überwacht worden, sogar der Papst und Mutter Teresa.

Mindestens genauso umfassend scheint die Wirtschaftsspionage zu sein, die von Menwith Hill und anderen „Echelon“-Standorten aus betrieben wird. Nach einer britischen Schätzung soll sie europäischen Firmen einen Gesamtschaden zwischen 13 und 145 Milliarden Dollar verursacht haben. Ein Beispiel von vielen: Der französische Konzern Thomson-CSF soll 1994 auf diese Weise ein Milliardengeschäft zur Überwachung des brasilianischen Regenwalds an das US-Unternehmen Raytheon Corporation verloren haben.

Das Europäische Parlament war über diese Schnüffeleien so beunruhigt, dass es im Jahr 2000 einen Ad-hoc-Ausschuss zur Untersuchung dieser illegalen Einbrüche in die Sphäre von Firmen und Privatleuten einsetzte. Doch die Parlamentsdelegation wurden in den USA weder von der Regierung noch von der CIA empfangen und erhielt keinerlei Auskünfte. Aber nach dem 11. September 2001 war das Thema politisch tot.

Agneta und Helen bedauern das, denn Menwith Hill spielte gerade in dieser Zeit eine enorm wichtige Rolle. Ohne die Bilder des US-Satellitensystems und seiner zahlreichen Spionagesatelliten wären die elektronisch gesteuerten US-Kriege gegen Afghanistan und den Irak nicht möglich gewesen, erzählt Agneta. Schon nach dem ersten Krieg gegen den Irak im Jahre 1991 hatte der damalige US-Commander William E. Kennedy auf Menwith Hill einen Preis für seine Unterstützung von „Desert Storm“ erhalten. Außerdem ist die Basis für das reanimierte amerikanische „Star Wars“-Programm unerlässlich.

Mittlerweile ist es dunkel geworden, die Frauen haben sich in einem Zelt versammelt und besprechen letzte Einzelheiten für die morgige Blockade. „Soll ich mich verhaften lassen?“, fragt Agneta. „Es wäre schon gut, wenn ein oder zwei Frauen festgenommen würden“, sagt Helen, „dann haben wir vor Gericht ein Forum.“ Einer der Polizisten, die ständig das Camp umkreisen, rüttelt an der Zeltplane und ruft: „Was macht ihr denn da?“

Als ob sie es nicht längst wüssten – auch am nächsten Tag sind die Bobbies massiv präsent. Es ist Montagmorgen, auf der Landstraße Richtung US-Basis rollt Auto an Auto. 25 Frauen stehen beieinander, und dann geht alles ganz schnell. Ein paar springen mit einem Transparent auf die Straße, Helen legt sich quer über die Fahrbahn, schließt die Augen und macht es sich gemütlich. Die Autos stehen, Agneta singt, und Helen sagt: „Ich fühle mich so erfrischt.“

Der höfliche Polizeiführer, stets besorgt um „die Sicherheit der Damen“, hält sich für besonders clever und lässt den gesamten Verkehr umleiten. Auf diese Weise dauert die Blockade nicht nur fünf Minuten, sondern volle zwei Stunden. Erst als sich Helen nach einer Kaffeepause am Lagerfeuer erneut auf der Fahrbahn räkelt, räumt die Polizei Straße. Helen und Agneta werden in die Polizeiwache gebracht und dort so lange festgehalten, bis die Dunkelheit hereinbricht. Weitere Blockadeversuche sind danach zu gefährlich.

Agneta Norberg hat ihr Leben lang viel mit der Justiz zu tun gehabt. Sie ist Exgattin eines leitenden schwedischen Staatsanwalts. Am nächsten Morgen steht sie selbst vor Gericht. Der Staatsanwalt hat Anklage wegen Störung des Straßenverkehrs erhoben, und ein dreiköpfiges Schnellgericht in Harrogate soll über sie urteilen. „Mister Blair und Mister Bush sind so feste Freunde, weil sie Menwith Will gemeinsam haben“, hebt Agneta an und belehrt die Richter: „Menwith Hill hört auch Ihre Telefonate und meine E-Mails ab. Das ist gegen das britische und schwedische Recht.“ Dann sagt sie noch, dass sie mit ihrem Körpereinsatz nur dieses Statement abgeben, dass sie zeigen wollte, dass das ein Angriff auf alle demokratischen Werte sei.

Die Richter wollen es lieber nicht so genau wissen. Nach einer kurzen Beratung verurteilen sie die Angeklagte zu 65 Pfund Geldstrafe mit einer Bewährungsfrist von sechs Monaten. „Ich fühle mich erleichtert“, sagt Agneta, nachdem sie das Gericht verlassen hat.