Einsam an der Spitze

In einem Überraschungscoup hat Minister Stratmann dem Oldenburger Intendanten Markus Müller eine Vertragsverlängerung verschafft. Derweil hoffen die streikenden technischen Mitarbeiter vergeblich auf die Solidarität ihres Chefs

Die Streikenden ärgert, dass die Theaterleitung behauptet, alles laufe reibungslos

VON ANNEDORE BEELTE

Ein „rastloser Sonnyboy“ ist er für das Feuilleton der Welt. Ein „Glückskind“ nennt ihn Heinz Harzmann, der für die CDU im Theater-Verwaltungsausschuss sitzt. Jetzt hat Markus Müller, jüngster Intendant der Republik, einen Grund mehr zum Strahlen: Sein Vertrag in Oldenburg, der 2011 ausgelaufen wäre, wurde vom Verwaltungsausschuss auf Vorschlag von Kulturminister Lutz Stratmann um gleich fünf Jahre bis 2016 verlängert.

Die Umstände der Personalie indes waren, wie es der grüne Landtagsabgeordnete Ralf Briese formuliert, „irritierend“: Der Minister hatte seinen Vorstoß nicht auf die Tagesordnung gesetzt, sondern den Ausschuss unter dem Punkt „Verschiedenes“ damit überrumpelt. Prompt erntete er bis auf eine Gegenstimme Zustimmung in dem Gremium, das mit sechs vom Ministerium benannten Vertretern und vier Oldenburger Kulturpolitikern besetzt ist. „Es hat uns alle überrascht“, sagt selbst der langjährige Stratmann-Weggefährte Harzmann. „Wenn es ein ordentlicher Tagesordnungspunkt gewesen wäre, wäre es schöner gewesen.“ Briese plant jetzt eine parlamentarische Anfrage.

In der Nordwestzeitung lobt Stratmann, der Müller aus Mannheim holte, unterdessen die „exzellenten Spielzeiten“ des Intendanten. Sebastian Beer, für die Grünen Mitglied im Verwaltungsausschuss, zweifelt an Stratmanns optimistischer Statistik-Interpretation. In Müllers erster Oldenburger Spielzeit 2006/07 gab es im Gegenteil einen Einbruch von 189.336 auf 181.133 Besucher. 2007/08 verbuchte er allerdings mit 210.477 Zuschauern einen Rekord. Müller zufolge hält der Trend hält in der aktuellen Saison an.

Die Zahlen seien nur bedingt vergleichbar, hält Sebastian Beer dagegen. Die Anzahl der Vorstellungen ist stetig gestiegen, neue Spielorte wie das Kleine Haus, der Spielraum und zuletzt die Exerzierhalle kamen hinzu. Waren es Ende der neunziger Jahre noch rund 550 Vorstellungen pro Saison, lag die Zahl in der vorigen Spielzeit bei 761. Macht pro Vorstellung einen Schnitt von 276 Zuschauern, gegenüber rund 350 Besuchern vor zehn Jahren.

Mehr Vorstellungen zu bieten und zugleich zu sparen, das bedeutet zugleich: Stress für die Beschäftigten. Seit November streiken die nicht-künstlerischen Beschäftigten der Staatstheater Oldenburg und Braunschweig für den Erhalt der „Theaterbetriebszulage“, die bisher die unregelmäßigen Arbeitszeiten im Theaterbetrieb ausglich. Im Höchstfall sind das rund 300 Euro monatlich. Mittlerweile ist Niedersachsen das einzige Bundesland, das noch keinen Tarifvertrag hat. Im „Schimmelreiter“ fällt deswegen die Flut aus, Sänger treten in Straßenkleidung auf, Statisten werden zum Kulissenschieben eingeteilt.

Die Streikenden ärgert es, dass die Leitung nach außen behauptet, der Theaterbetrieb gehe reibungslos weiter. „Vom Haus gibt es eine Hinhaltetaktik“, sagt eine Mitarbeiterin. Der Intendant verspreche, sich bei der Landesregierung für die Beschäftigten einzusetzen – wenn sie den Streik beendeten. „Das ist ja nett, aber das hätte er schon längst tun sollen“, findet Herbert Quathamer von der Tarifkommission. Müller sei immer nett, lasse sich im Haus duzen, erzählt ein Streikender. Aber: „Er beschwichtigt uns nur. Wenn er so einen guten Draht zur Politik hat, soll er auch etwas tun.“ Doch die Beschäftigten hoffen offenbar vergeblich: „Das ist gar nicht meine Aufgabe“, sagt Müller. „Wenn man viel Geld verdienen will, muss man nicht beim Theater arbeiten.“

Noch eine weitere Baustelle schleppt Müller mit in seine zweite Amtszeit: Am Montag gab Generalmusikdirektor Alexander Rumpf seine Abschiedsvorstellung. Die Stelle bleibt bis auf Weiteres unbesetzt. Eine Ausschreibung war gescheitert, weil im Orchester kein Kandidat eine Mehrheit bekam. Man hilft sich in der kommenden Spielzeit mit Gastdirigenten und plant einen der Gäste eventuell zu einer engeren Kooperation einzuladen. „Die GMD-Stelle muss wieder ausgeschrieben werden“, verlangen die Verwaltungsausschuss-Mitglieder von CDU, FDP und Grünen. Auch der scheidende Rumpf sagt: „Es ist wichtig, dass ein Haus zwei Spitzen hat. Wenn Politiker Intendanten auswählen, die sich mehr durch Managertum als durch künstlerisches Profil auszeichnen, dann muss daneben eine starke künstlerische Persönlichkeit stehen.“

Noch in einer Zeitungsannonce 2008 hatten Intendant und Orchestervorstand ihren gemeinsamen Wunsch bekräftigt, wieder einen GMD zu verpflichten. Doch Markus Müller sieht derzeit „keinen Handlungsbedarf“. Bis 2011 wird eine Dreierspitze aus einer Operndirektorin – studierte Musiklehrerin –, einem Orchester-Geschäftsführer – studierter Jurist – und einem zum „musikalischen Oberleiter“ aufgewerteten Ersten Kapellmeister das Musiktheater betreuen. Ihren Einstand geben sie mit einem Konzertplan, den eine Berliner Agentur vorgefertigt hat: Gefälliges von Mozart bis Gershwin, keine Neue Musik irritiert Honoratioren-Ohren.

Nach den zwei Jahren müsse man sehen, sagt Müller, ob man zur „alten Struktur“, sprich zur Doppelspitze von Intendant und GMD, zurückkehre – oder ob sich die neue Struktur etabliert habe. Vielleicht sei es ja ohnehin gleichgültig, ob nun ein GDM oder ein „erster ständiger Gastdirigent“ das Orchester leite.

Die Entmachtung der künstlerischen Leitung kennt man aus der Tanzsparte: Statt eines Compagnie-Chefs gibt es es in der Oldenburgisch-Bremischen Kooperation ein „Tanzdirektorium“ aus Dramaturgen, die künstlerischen Leiter sind bloß „Choreograf in Residenz“. Über allem herrscht einsam der Intendant. Im Orchester will sich mancher mit dieser Aussicht nicht zufrieden geben und wünscht sich einen GMD als Korrektiv zurück.