sarrazin vs. bvg : Die Angst hinter dem Tarifstreit
Die BVG-Beschäftigten drohen mit Streik, der Finanzsenator geißelt deren Verzichtsangebot als „inakzeptabel niedrig“. Tarifpoker as usual? Nicht ganz. Denn bei dem Schlagabtausch zwischen Ver.di und Thilo Sarrazin geht es um mehr als ein paar Millionen mehr oder weniger Personalkosten. Die MitarbeiterInnen fürchten die Zerschlagung ihrer BVG – und sie haben Grund dazu.
KOMMENTAR VON ULRICH SCHULTE
Man muss sich das Unikum in der Gewerkschaftshistorie mal klar machen: Die BVGler bieten Lohnkürzungen an und wollen für ihre Durchsetzung sogar auf die Straße gehen. Die Angst, die die Folie für den wohl seltsamsten Tarifstreit Berlins bildet, hat Sarrazin selbst genährt. Er würde die BVG ja für 1 Euro verkaufen, erzählt er gerne – wenn sie denn jemand nähme.
Auch wenn mit dem Bonmot der rhetorische Punktsieg an Sarrazin geht (Die ganze BVG 20 Cent billiger als ein Kurzstreckenticket!), auch wenn vom Komplettverkauf gerade keine Rede ist: Die Idee ist grundfalsch. Die Verkehrsbetriebe zu filetieren und zu verscherbeln würde der Landeskasse Einnahmen bringen, der Stadt aber schaden.
Nahverkehr ist gerade in der Hauptstadt eine Aufgabe der Daseinsfürsorge. Die BerlinerInnen verdienen weniger als andere Großstädter, über die Hälfte der Leute hier leistet sich kein Auto. Doch nur wer einigermaßen günstig von A nach B kommt, kann am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Private Anbieter interessieren sich für profitable Strecken, nicht aber für fernab liegende Kieze – wer mag sich schon ernsthaft eine Metrolinien-Reform hoch zehn ausmalen?
Natürlich muss die BVG einiges tun, um beim EU-weiten Wettbewerb ab 2008 mithalten zu können. Doch täte der Senat gut daran, den Beschäftigten die Ausverkaufsangst zu nehmen. Das Land muss sich für die Mobilität der ärmeren Menschen zuständig fühlen, deshalb muss es für die BVG zuständig bleiben.
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