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Paare sind wie kleine ÄffchenEin suppender Wrap als Gottesbeweis

Wenn ein Paar gemeinsam isst, entsteht eine eigenwillige Symbiose. Das ist Kultur, das ist Psychologie, vor allem aber ein Hinweis auf das Universum.

Aus dem Grund eignet sich das Essen nicht to go, weil man sich auf der Straße komplett damit einsauen würde Foto: Aleksandar Georgiev/getty images

I ch sitze mit meiner Frau in einem syrischen Imbiss, der von Geflüchteten betrieben wird. Sie hat einen Falafelwrap bestellt, ich einen mit Chicken. Alles schön bunt, mit Joghurtsoße, ordentlich Zwiebel, Salat, komplett. Die Wraps sind eher so länglich und liegen auf hübschen, ebenfalls länglichen, also tendenziell rechteckigen Tellerchen. Sie sind bis fast oben hin sorgfältig mit Papier umwickelt. Der Schutzanzug ist unbedingt nötig, weil die Soße sonst raussuppt wie nichts Gutes. Aus dem Grund eignet sich das Essen nicht to go, weil man sich auf der Straße komplett damit einsauen würde. Deshalb essen wir die Dinger auch im Lokal.

In einer weiteren Vorsichtsmaßnahme essen wir mit Messer und Gabel. Von links nach rechts, das Papier in Essrichtung immer ein kleines Stück weiter zurückziehend. Etwa nach dem halben Wrap drehe ich den Teller in vertikale Richtung, weil mir das angenehmer erscheint. Ich esse nun also nicht mehr von links nach rechts, sondern praktisch von vorne nach hinten.

Dann gucke ich zu meiner Frau rüber und sehe, dass sie den Teller genauso gedreht hat. Ohne dass wir uns dabei zugesehen, geschweige denn in irgendeiner Weise abgesprochen hätten. Es ist der unverfälschte Geist von Mutter Natur, die hier, unabhängig voneinander, unsere Gedanken und unsere Greifwerkzeuge geführt hat. In einer instinktiven und wohl einzig logischen Choreografie, die die Form des Wraps und des Tellers zulassen.

Es ist ein epipha­ni­scher Moment: Wie kleine Äffchen tun wir unbewusst das Richtige

Das wirft mich nun doch aus der Bahn. Es ist ein epiphanischer Moment: Wie so kleine Äffchen oder Dohlen tun wir unbewusst das Beste, das Richtige, das Naturgegebene. Wie eine Meerkatze, die einen Halm in einen Termitenbau steckt und damit die Termiten herausangelt. Oder eine Krähe, die sich eine Nuss von einem vorbeifahrenden Auto knacken lässt. Ein Einsiedlerkrebs, der sich mit einer Muschelrüstung schützt. Sie alle machen das ohne jede Überlieferung oder Gebrauchsanweisung. Es steckt einfach in ihnen drin.

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Ich habe Tränen in den Augen, bin wie berauscht von diesem Gottesbeweis. Das ist die Evolution, wir sind einfach nur ein Teil davon. Befreit vom Ballast menschlicher Zivilisation und Youtube-Tutorials erkennen und erfahren wir uns endlich als reinen Teil des Ganzen wieder, der großen Gemeinschaft aller Lebewesen: Tier, Mensch und Pflanze, Brüder im Geiste, Schwestern im Instinkt.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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